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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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dieselben drei Lieder geschrummelt, die ihm ein Nowosibirsker Polizist bei irgendeiner Schulung beigebracht hatte, und die ganze Zeit hatten Inez und der Hund im Dunkeln gestanden, und der Hund hatte seinen Arsch an ihren Schienbeinen gerieben und manchmal seinen Kopf zu ihr herumgedreht, und sie hatte nur ahnen können, wie sich Felix Ton hinter der Tür an dieser Frau zu schaffen machte, und mir war das alles egal. Die klamme Datsche, in der man mit jedem Schritt tiefer im Fußboden versank, das fossile Getue, die fossilen Leute hatten nicht das Geringste mit mir zu tun.
    »Die Ameisen hatten den Boden zerfressen«, sagte Inez. »Kluge Tiere. Sie haben den Zerfall schon lange vorher angekündigt. Wir waren nur zu blöd, das zu bemerken. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, uns gegenseitig mit Schimpfworten zu belegen –«
    Nulpe, Kanaille, Verbrecher.
Das waren die Worte, die sie noch einmal wiederholte, bevor sie abrupt schwieg. Sie drehte den Dimmer der roten Stehlampe herunter.
    »Was soll das«, sagte ich.
    »Ich begriff, dass der Hund auf die sexuelle Befriedigung seines Herrchens gedrillt war.«
    Ich stellte das Glas zurück auf den Tisch. Die Wellen der Ostsee schienen an die Außenwände der Hütte zu schlagen. Im Radio hatten sie schweren Sturm angesagt.
    »Alles klar«, sagte ich. »Der Typ ist nicht der Obersympath.«
    »Trink noch was«, sagte Inez.
    »Soviel kann man gar nicht trinken.«
    »Schwer, sich so was vorzustellen. Ich weiß.«
    »Ich könnte die ganze Flasche austrinken. Dass der Typ Hunde fickt, würde ich trotzdem nicht glauben.«
    »Besonders bei Leuten, die man kennt«, sagte Inez. »Da kann man es sich gar nicht vorstellen.«
    »Auch so einer findet eine Frau.«
    »Man denkt sich die abstrusesten Erklärungen aus, nur nicht das Naheliegende.«
    »Hast du gesehen, wie er es gemacht hat?«
    Sie sah mich an.
    »Also nicht. Du hast es dir eingebildet.«
    »Trink, Erik.« Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht.
    »Du konntest ihn nicht leiden. Du hattest – was? Liebeskummer?«
    Sie strich sich die Strähne hinters Ohr, und ich sah, wie ihr Blick sich veränderte, wie sie begann, durch mich hindurchzusehen.
    »Wir sollten diese Nacht feiern«, sagte sie. »Geständnisse muss man feiern.«
    »Was soll das denn für ein bescheuertes Geständnis sein?«
    »Geständnisse und die Wahrheit und das, was dabei verlorengeht.«
    »Du bist betrunken.«
    Das offene Haar fiel ihr auf die Schultern. Ihr Gesicht wirkte auseinandergefallen. Es sah aus, als hätte jemand in der Tiefe hinter der Haut die Leinen losgelassen, als würde das Gesicht normalerweise von solchen Leinen straff und in Form gehalten, und jetzt passte nichts mehr zueinander.
    »Du solltest auch trinken. Sonst begreifst du es nicht.«
    »Nichts mehr da.«
    »Dann mach noch einen auf. Der Korkenzieher ist in der Schublade unter der Spüle. Ich werde noch die beste Kundin in diesem Weinladen sein.«
    »Das ist nicht schwer, wenn du so weitermachst.«
    »Das ist schwer«, sagte sie. »Man ist hier nicht gerade zimperlich beim Trinken.«
    Inez hatte ein paar Weinflaschen auf dem Boden neben dem Kühlschrank stehen, und ich suchte eine aus und nahm den Korkenzieher mit.
    »Ton war auch nicht zimperlich. Keiner von denen war’s. Manchmal haben sie die Nacht durchgesoffen und sind morgens gleich so auf Arbeit. Aber er war was Besonderes. Das dachte ich. Und das war er auch. Kam angebraust in seinem Wartburg. Zitronengelb. Mit ledernem Lenkradband. Auf das war er besonders stolz.« Ihr lächelnder Mund passte nicht zu ihren Augen, die Augen nicht zu den Lidern, die Lider nicht zu den Falten in den Augenwinkeln.
    »Ton mochte es im Wartburg«, sagte sie.
    »Ich finde nicht, dass ich das hören muss.«
    »Du musst noch viel mehr hören.«
    Als ich ihr einschenken wollte, schob sie den Flaschenhals zu meinem Glas.
    »Koste. Damit du es lernst.«
    »Für wenn ich groß bin?«
    »Wenn du groß bist und eine Familie hast.«
    Ich hielt den Wein vor das Licht der Stehlampe. »Das ist jetzt also die Abschiedsparty.«
    »Mach dir nichts vor.«
    »Du machst dir was vor«, sagte ich. »
Ich
achte nur beim Wein aufs Alter. Du bist doch die, die nicht drüber hinwegkommt, dass ich jünger bin. Der Vereinsvorsitzende ist bloß eine beschissene Ausrede!«
    »So einfach ist es nicht, Erik.«
    »Nein? Du hast Schiss gekriegt, weil es dir so gut ge- fällt?«
    »Man kann das Alter nicht immer übersehen.«
    »Jeder kann das. Jeder, der will.«
    Sie

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