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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Hitzewelle durch den Körper. Ich legte eine Hand auf den niedrigen Couchtisch, der kühl war und stabil, und sagte: »Ein Naturschutzgebiet sollte die Menschen vor sich selber schützen.«
    Inez lächelte nicht. Niemand lächelte. Das wassergraue Licht im Café ließ unsere Gesichter bleich und erstarrt aussehen.
    »Gibt’s heute keinen Kaffee?«, fragte ich laut. »Oder macht der Koch schon wieder ’ne Fuffzehn? Soll
der
doch gehen.«
    »Schon dein Zustand von Reflexion ist ein Zustand gegen die Natur«, sagte Guido träge.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Was ist eigentlich dein Problem, Guido? Dass du nicht mehr nackt rumlaufen kannst?«
    »Nur der starke Einzelgänger in seiner ganzen Einfachheit und Unschuld begrenzt seine Natur nicht«, sagte Guido ebenso träge wie zuvor.
    »Dann bist du in der Hinsicht ja Partisan.«
    Er gähnte. Mir kam es auf einmal so vor, als würde das Licht noch grauer werden, grau und feucht, als nehme es die Konsistenz des Wassers an und triebe mit dem Atem in die Lunge, sammelte sich, der Wasserspiegel in den Lungenbläschen stiege, die Luft würde knapp, so dass ich den Kampf mit Guido nicht aufnehmen könnte. Denn unterschwellig wollte er das, unterschwellig wollte er den Kampf von neulich fortsetzen, vor den Augen von Inez, angefeuert, aufgestachelt von ihrem Blick. Sie sah ihn an und sagte: »Dich brauch ich hier noch.«
    Bei mir lagen die Dinge anders. Mich brauchte sie nicht. Mich konnte sie schnell und schmerzlos hinter sich bringen,
weinen wir einander keine Träne nach
, aber es dauerte ewig, bis ich das begriff. Bis ich begriff, dass ich es war, den sie nicht brauchte, dass ich es war, der ihre Stellung gegenüber dem Verein bedrohte, der ihre Arbeit verzögerte, sich aufdrängte und die Einhaltung irgendwelcher Richtlinien gefährdete, die Europas Vogelschützer sich ausgedacht hatten. Die saßen in Brüssel und bestimmten über mein Leben, weil ich mich ausgerechnet auf dem Territorium eines Naturschutzgebietes verliebt hatte und Inez ausgerechnet eine war, die widerspruchslos diesen Naturbürokraten gehorchte. Und vielleicht hatte der ganze Reiz für sie bloß darin bestanden, sich etwas zu nehmen, was sie schon lange hatte haben wollen, und dann hatte sie es gehabt, und mehr war nicht nötig. Ich konnte gehen.
    Der Nachmittag im Café verschwimmt in meiner Erinnerung. Der Regen scheint ihn an den Rändern wegzuspülen. Erst spät hörte es auf, als ich schon zurück im Leuchtturm war und meine nassen Sachen ins Treppenhaus hängte, wo die Scouts Wäscheleinen von Geländer zu Geländer gezogen hatten wie im Süden. Die Luft im Zimmer war klamm. Mir blieb die Nacht zum Packen.
    Mach es kurz und schmerzlos. Bloß nicht kindisch werden.
    Ich knallte meinen Rucksack aufs Bett, warf die T-Shirts und Hosen hinein, ein paar fielen daneben, die ich achtlos zusammenklaubte und den anderen nachstopfte, bis alles drin war, und dann stand ich eine Weile da und starrte diesen Rucksack an. Mir fiel ein, dass ich mir die Antwort an Annegret sparen konnte.
    Ich ließ mich aufs Bett fallen. Die Klippe vor dem Fenster war im Nebel versunken. Nicht einmal der trübe Abend zeichnete sich an den grauen Felsen ab. Es gab keine Aussicht. Ich sprang wieder auf. Ich rannte ohne Jacke nach draußen. Ich rannte über den matschigen Pfad bis zur Treppe, die mit einem kleinen Gartentor verschlossen war. Ein Künstler des Schmiedehandwerks hatte eine eiserne Lumme in die Mitte eingelassen. Ich trat der Lumme vor den Kopf. Das Tor sprang auf, ich stürzte die Treppe hinunter durch den dichten, fast tropischen Wald, der sich im Einschnitt der Klippen entwickelt hatte, wo die Luft feuchter, die Jahrestemperatur höher war, aber jetzt war es dunkel. Die Bäume hatten schon Blätter verloren. Ich nahm mehrere Stufen auf einmal, rutschte aus, fing mich, erreichte Inez’ Hütte. Ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte die Tür nicht nachgegeben.
    Inez saß auf einem Hocker an der Küchenzeile. Sie schrieb.
    Auf dem Tisch am Sofa standen zwei Gläser Rotwein, eine Kerze. Sie trug eine bequeme weite Stoffhose. Sie beendete das, was sie geschrieben hatte. Sie klappte das Notizbuch zu, erst dann sah sie auf.
    »Schließ die Tür, Erik. Und nimm dir ein Glas Wein.«
     
    Von heute aus betrachtet, scheint die Wut, die ich damals empfand, ganz aus diesem Moment entwichen. Das steife Zittern im Nacken, die Übelkeit erregende Leere im Kopf sind verschwunden. Von heute aus gesehen, lehnte ich an der Tür,

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