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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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wofür es entsprechende Fördertöpfe gibt. Die Summen hat Feldberg akribisch dokumentiert.
    Er hatte diese Papiere dabei, als er noch einmal nach Visby kam. Das ist keine drei Tage her. Die Fähre fuhr nicht, und er hatte im Hafen von Klintehamn ein Fischerboot gechartert. Weder Inez noch ich hatten ihn ankommen sehen. Auf einmal war er da. Er lief mit seiner ledernen Arzttasche unter dem Arm durchs Café, hielt sein Handy ans Ohr, schüttelte es, als habe er keinen Empfang, und redete dann darauf ein, dass man den Eindruck haben konnte, am anderen Ende wäre niemand. Er schien nervöser als im Juli.
    Er hatte die Akten dabei, und er hatte
seine Truppen
dabei, ein Kamerateam und eine Radioreporterin, die ihm nicht von der Seite wich. Aber soweit bin ich noch nicht. Das kommt später.
    An jenem Nachmittag im Nieselregen war Guido zu mir ins Büro gekommen. Er hatte meinen Laptopdeckel zugeklappt und gesagt: »Schluss für heute. Wir haben ein Meeting im Café.«
    »Wieso?«
    »Frag nicht. Anweisung der Chefin.«
    Von der Ostsee kam ein matter Wind und ließ die Fahne flappen. Die Fähre hatte noch nicht wieder abgelegt. Morgens hatte ich sie vom Büro aus in den Hafen einlaufen sehen. Der Kapitän hatte Säcke voller gereinigter Bettwäsche ausgeladen und auf dem Hänger verstaut, der später von Guido zum Leuchtturm gefahren wurde. Außer einem älteren Pärchen war niemand ausgestiegen. Mann und Frau standen unschlüssig am Strand herum, bis der Kapitän sie schließlich hinauf zum Museum schickte. Inez hatte ich den ganzen Tag noch nicht gesehen. Die letzte Nacht hatte ich nicht bei ihr, sondern in meinem Zimmer im Leuchtturm geschlafen.
    Mit den Gedanken war ich bei Annegret gewesen. Sie hatte mir eine SMS geschickt.
Deine alte Mutter drückt wieder die Schulbank. Habe einen Englisch-Intensivkurs an der Volkshochschule belegt. Wenn du nach Hause kommst, musst du mit mir üben!
    Ich wusste, dass es sie Überwindung gekostet hatte, mir das zu schreiben. Dass sie lange daran gefeilt hatte. Diese Nachricht war das Äußerste, was ihr Stolz zuließ: Ein ernstzunehmender Vorwurf. Sie hatte den Umzug allein gemeistert. Sie hatte die Küche von einer Malerfirma streichen lassen. Beim Aufbau der Möbel hatten ihr vielleicht die Kollegen geholfen. Aber sie hatte niemanden, dem sie von ihrem Englischkurs erzählen konnte, keinen, mit dem sie gern ins Kino gehen wollte, niemanden, der sich über ihren Nudelauflauf freute und mit dem sie nach dem Essen in der Küche saß und einen Grappa trank. Wahrscheinlich lebte sie noch immer zwischen nicht ausgepackten Bücherkisten. Sie brauchte mich. Sie brauchte meine Hilfe. Sie brauchte wieder Alltag mit ihrem Sohn.
    Als Guido hereinkam, hatte ich darüber nachgedacht, was ich ihr antworten sollte, und das Meeting gab mir einen Grund, die Antwort auf später zu verschieben.
    Wir gingen hinüber zum Café. Inez hatte sich an einen der Couchtische gesetzt. Sie waren in einer Ecke zu einer Art Lounge arrangiert. Sie rieb ihre Hände aneinander, als wäre ihr kalt. An ihrer Strickjacke fehlte ein Knopf.
    Der Regen wurde stärker. Er wurde zu einem harten, windigen Regen, der gegen die großen Glasfenster schlug. Das Geräusch des fallenden Wassers war so laut, dass Inez aufhörte zu reden. Sie wirkte müde. Ihre Hände lagen jetzt reglos im Schoß. Eine Weile lauschten wir dem Pladdern. Ich betrachtete ihre grünen Ohrringe, die unter dem zurückgebundenen Haar leuchteten. Sie sah mich nicht an. Ich redete mir ein, das liege daran, dass ich mit dem Rücken zum Fenster saß und sie mich nur als dunkle Silhouette wahrnahm. Aber der Regen hatte das Licht in ein Halbdunkel verwandelt, in dem wir alle undeutlich wurden, und während wir da saßen, sah Inez Guido an. Guido mit seinem exakten Haar, das seinen Kopf umstand wie ein Karton. Sie hatte von einem Streit mit dem Vereinsvorsitzenden erzählt. Der Vereinsvorsitzende fand, dass sich zu viele Leute auf der Insel aufhielten, dass zu Saisonende soviel Personal nicht mehr erforderlich wäre. Ein Naturschutzgebiet, hatte der Vereinsvorsitzende gesagt, sei ein Gebiet, das vor den Menschen schützen solle und nicht die Menschen.
    Inez sah Guido an. Der Regen ging in Hagel über. Guido sagte nichts.
    »Es ist klar«, sagte Inez. »Mindestens einer muss gehen.«
    Guido räkelte sich auf der Couch, die Arme auf der Rückenlehne ausgestreckt. Breitbeinig saß er da. Inez neigte sich ihm entgegen. Fast bittend sah sie ihn an. Mir jagte eine

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