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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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als hätte ich alle Zeit der Welt, und betrachtete die Frau vor mir auf dem schwarzen Barhocker. Wir sahen uns an. In diesem Augenblick, dem letzten, gab es keine Aufregung, nur eine große Ruhe. Die Ruhe kam von Inez.
    »Ich habe auf dich gewartet.«
    Inez hatte die Flasche Wein vom Tresen der Bar genommen. Sie hatte sich auf das Sofa gesetzt, die Weinflasche abgestellt, die Kerze angezündet.
    »Komm.« Sie lehnte sich zurück, sie schlug die Beine übereinander. Der Wein in den Gläsern warf dunkle Kreise. »Kommst du nicht her? Es wäre leichter.«
    Inez nahm das Glas, ließ es gegen meines klingen, das da noch stand. »Man sagt, dass man für jedes Jahr, das eine Liebe gedauert hat, einen Monat braucht, um darüber hinwegzukommen.« Sie trank. »Wir werden also nicht lange dafür brauchen, Erik.« Sie wischte mit dem Finger einen Tropfen vom Glasrand. »Es tut mir leid, dass ich vorhin so hart gewesen bin.« Sie betrachtete ihre Hand, sie leckte den Tropfen vom Zeigefinger, sie ließ die Hand gegen ihre Brust fallen. »Du könntest mir ein bisschen helfen, weißt du.«
    »Ich bin nicht der, der Schluss macht.«
    »Du könntest dich wenigstens hinsetzen.«
    Ich hatte mich nicht hingesetzt. Ich setzte mich auch nicht hin, als sie übergangslos anfing, von Feldberg zu reden. Als gäbe es mich nicht, als ginge es auch in diesem Moment um etwas anderes, als ginge es immer nur um ihn, um diesen Typen, der sie nicht losließ, obwohl er schon vor vier Wochen abgereist war. Sie fing an, von einer seiner Feten zu erzählen, damals im Osten, als er auf seiner Datsche Feten hatte steigen lassen, eine Endjahresfete, eine Spätherbstfete, die Fete, bevor er die Datsche winterfest machte, und angeblich hatte sie damals so dagestanden wie ich jetzt an der Tür, schockgefroren, verletzt und abbestellt, abbestellt von Typen, mit denen sie zusammengewesen war oder nur rumgemacht hatte, wie ich in diesem Moment dachte, rumgemacht, rumgevögelt, getrieben hatte sie es mit allen, die sie kriegen konnte, hatte Feldberg zu mir gesagt,
zum Totlachen
, sagte Inez, aber ich hatte nicht mitbekommen, was zum Totlachen war.
    »Allerdings nicht, wenn man sechzehn ist«, sagte sie. »Da ist alles todernst. Besonders die Liebe. Man ist überzeugt, man fühlt alles so groß, wie es klingt. Liebe, Schmerz und Tod. Und man ist die Einzige, die so fühlt. Ein ziemlich einsames Alter.«
    »Da bist du ja raus.« Ich nahm mein Weinglas und lehnte mich damit an die Wand gegenüber dem Sofa. »Da bist du ja ein für alle mal raus.«
    Sie trank einen Schluck Wein. Sie hörte nicht auf, von der Datsche zu reden, von diesen verkrachten Ostexistenzen mit ihren Orgien, ihrem Alkohol, ihrem Sex auf Sprungfedermatratzen. Feldberg hatte recht. Sie hatte sich ausprobiert, hatte wild in der Gegend rumgevögelt, wer weiß, wie oft und mit wie vielen, und einer von denen hatte sie dann sitzen lassen, eine Demütigung, Kratzer am Ego, und wenn sie mir schon früher von dieser Fete bei Feldberg erzählt hätte, hätte mich das wahrscheinlich interessiert, ich hätte wahrscheinlich sogar nachgefragt, aber jetzt, als sie so da saß und trank, erschien es mir bloß banal.
    »Der Hund hätte mich fast verraten«, sagte sie. »Er drehte sich vor mir um und präsentierte mir sein Hinterteil. Er schubberte seinen Arsch an mir.«
    »Welcher Hund?«
    »Du könntest wenigstens so tun, als würdest du zuhören.«
    »Okay. Ich tu so.«
    »Sie hatten Feldbergs Hund von der Terrasse gejagt. Felix Ton hat einen Knochen hinter ihm her über die Balustrade geworfen.«
    »Felix wer?«
    »Der Mann, der mich an diesem Abend abserviert hat.«
    »Das hättest du mir früher erzählen sollen.«
    »Er war mein erstes Mal.«
    »Wenn du’s mir früher erzählt hättest, hätte es mich vielleicht interessiert. Jetzt interessiert’s mich nicht mehr.«
    »Doch«, sagte Inez. »Es interessiert dich sehr. Und deshalb wirst du mir zuhören. Du wirst mir zuhören, bis ich fertig bin.«
    Es war kalt gewesen, es hatte nach verbranntem Fett gerochen, später waren die besoffenen Spiele drangekommen, die dreckigen Titulierungen, die Rülpser, mit denen die Kampflieder begleitet wurden,
na sdrowje, towarisch
, Felix Ton hatte sich eine der Frauen geschnappt und war ihr hinter der Bungalowtür an die Wäsche gegangen,
Fummel-
Felix
rief einer der Typen hinter ihm her. Feldberg hatte ein sibirisches Saiteninstrument geholt, Balalaika oder Ukelele, damit kannte sie sich nicht aus, und immer wieder

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