Sturz der Titanen
Kabinettssitzung einberufen.« An einem Samstag war so etwas ungewöhnlich. »Morkey und Burns verlangen eine Erklärung, dass Großbritannien unter keinen Umständen gegen Deutschland kämpft.«
Fitz schüttelte den Kopf. »Sie können die Frage nicht derart im Vorfeld beeinflussen. Grey würde zurücktreten.«
»Grey droht dauernd mit Rücktritt.«
Plötzlich ließ Bea das Messer fallen und gab einen eigenartigen Laut von sich.
»Was ist, Liebes?«, fragte Fitz besorgt.
Bea stand auf und hielt sich den Leib. Sie war bleich geworden. »Entschuldigt mich«, sagte sie und eilte aus dem Zimmer.
Maud erhob sich besorgt. »Ich kümmere mich um sie.«
»Nein, ich gehe«, sagte Fitz zu ihrem Erstaunen. »Frühstücke du weiter.«
Mauds Neugier erlaubte ihr nicht, es dabei zu belassen. Als Fitz zur Tür ging, fragte sie: »Leidet Bea an morgendlicher Übelkeit?«
Fitz blieb in der Tür stehen. »Sag es niemandem«, bat er.
»Das ist ja wunderbar! Ich freue mich so sehr für dich.«
»Danke.«
»Aber das Kind …« Maud versagte die Stimme.
»Ach!«, rief Tante Herm, die allmählich begriff. »Wie schön!«
Maud sprach mit Mühe weiter. »Wird das Kind in eine Welt geboren, die im Krieg liegt?«
»Oh je«, sagte Tante Herm. »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
Fitz zuckte mit den Schultern. »Ein Neugeborenes kennt es nicht anders.«
Maud spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Wann ist es so weit?«
»Im Januar«, antwortete Fitz. »Warum erregst du dich so?«
»Fitz«, sagte Maud. Sie weinte nun haltlos. »Ach Fitz, lebst du dann noch?«
Am Samstagmorgen brodelte es in der deutschen Botschaft. Im Büro des Botschafters führte Walter Telefonate, brachte Telegramme herein und nahm kurze Mitteilungen auf. Hätte er sich um seine Zukunft mit Maud nicht solche Sorgen gemacht, wäre es die aufregendste Zeit seines Lebens gewesen, doch er konnte den Kitzel, an einem großen internationalen Machtspiel teilzunehmen, nicht genießen, weil ihn die Angst quälte, dass er und die Frau, die er liebte, im Krieg zu Feinden würden.
Zwischen Kaiser Wilhelm und Zar Nikolaus gingen keine freundlichen Mitteilungen mehr hin und her. Am gestrigen Nachmittag hatte die deutsche Regierung Russland ein Ultimatum gestellt, in dem es zwölf Stunden Zeit erhielt, die Generalmobilmachung seines monströsen Heeres zu stoppen.
Der Termin war ohne Antwort aus Sankt Petersburg verstrichen.
Dennoch glaubte Walter noch immer, dass der Krieg auf Osteuropa begrenzt werden und England und Deutschland Freunde bleiben könnten. Botschafter Lichnowsky teilte seinen Optimismus. Selbst Asquith hatte gesagt, Frankreich und England könnten Zuschauer bleiben. Schließlich war die Zukunft Serbiens und des Balkans für beide Länder fast ohne Belang.
Frankreich war der Schlüssel. Berlin hatte am gestrigen Nachmittag ein zweites, an Paris gerichtetes Ultimatum gestellt, in dem Frankreich aufgefordert wurde, sich für neutral zu erklären. Die Hoffnung war sehr dünn, auch wenn Walter sich verzweifelt daran klammerte. Das Ultimatum lief zur Mittagsstunde ab. Währenddessen hatte der französische Generalstabschef Joseph Joffre die sofortige Mobilmachung der französischen Streitkräfte verlangt. Das Kabinett trat am Morgen zusammen, um darüber zu entscheiden. Wie in jedem Land bedrängten hohe Offiziere die ihnen übergeordnete Politik, die ersten Schritte in den Krieg zu gehen.
Die Frage, in welche Richtung Frankreich sich bewegen würde, war schwer zu beantworten.
Um Viertel vor elf, als Frankreich noch fünfundsiebzig Minuten Zeit blieben, erhielt Lichnowsky einen überraschenden Besuch von Sir William Tyrell, dem außenpolitisch erfahrenen Privatsekretär von Sir Edward Grey. Walter führte Tyrell sofort ins Büro des Botschafters. Fürst Lichnowsky bedeutete Walter zu bleiben.
Tyrell sprach Deutsch. »Der Außenminister hat mich gebeten, Sie wissen zu lassen, dass eine Ministerberatung, die in diesem Moment stattfindet, ihn vielleicht in die Lage versetzen wird, Ihnen eine Erklärung abzugeben.«
Der Satz war offensichtlich eingeübt, und Tyrell sprach fließend Deutsch, doch Walter begriff nicht, was er damit sagen wollte. Als er Lichnowsky anblickte, sah er, dass es dem Botschafter genauso erging.
Tyrell fuhr fort: »Eine Erklärung, die vielleicht hilfreich sein wird, um die große Katastrophe zu verhindern.«
Das hörte sich gut an, blieb aber vage. Walter hätte den Mann am liebsten aufgefordert, endlich konkret zu
Weitere Kostenlose Bücher