Sturz der Titanen
Herm fragte: »Haben Sie schon gelesen, dass diese schreckliche Madame Caillaux für unschuldig befunden wurde?«
Fitz sah sie erstaunt an. »Unschuldig? Aber sie hat den Mann erschossen! Sie ging in ein Geschäft, kaufte eine Waffe, lud sie, fuhr zur Redaktion des Figaro , bat um ein Gespräch mit dem Chefredakteur und erschoss ihn – wie kann sie da unschuldig sein?«
»Sie hat gesagt: ›Diese Waffen gehen ganz von allein los.‹«, erwiderte Tante Herm. »Ehrlich.«
Maud lachte.
»Die Geschworenen müssen sie gemocht haben«, sagte Fitz. Er ärgerte sich über Maud, weil sie gelacht hatte. Launische Geschworene stellten eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar. Man konnte einen Mord doch nicht einfach hinnehmen. »Sehr französisch«, sagte er voller Abscheu.
»Ich bewundere Madame Caillaux«, sagte Maud.
Fitz grunzte missbilligend. »Wie kannst du so von einer Mörderin sprechen?«
»Ich glaube, es sollten mehr Leute Zeitungsredakteure erschießen«, sagte Maud unbekümmert. »Das würde dem Niveau der Berichterstattung guttun, könnte ich mir vorstellen.«
Walter war am nächsten Tag, einem Donnerstag, noch immer voller Hoffnung, als er zu Robert ging.
Der Kaiser zögerte, obwohl Männer wie Otto von Ulrich Druck machten. Der Kriegsminister, Erich von Falkenhayn, hatte die Mobilmachung verlangt, was die Lunte endgültig entzünden würde, doch der Kaiser hatte sich geweigert. Er glaubte, ein allgemeiner Konflikt könne vermieden werden, wenn die Österreicher in Belgrad haltmachten. Und als der russische Zar die allgemeine Mobilmachung befohlen hatte, hatte Wilhelm ihm ein persönliches Telegramm geschickt und ihn gebeten, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Die beiden Monarchen waren Vettern. Die Mutter des Kaisers und die Schwiegermutter des Zaren waren Schwestern gewesen, Töchter von Königin Viktoria. Kaiser und Zar kommunizierten auf Englisch und nannten einander »Nicky« und »Willy«. Und tatsächlich war Zar Nicky vom Telegramm seines Vetters Willy gerührt gewesen und hatte den Mobilmachungsbefehl zurückgezogen.
Wenn die beiden Herrscher standhaft blieben, stand Walter und Maud vielleicht doch noch eine glückliche Zukunft bevor – und Millionen anderer Menschen, die einfach nur in Frieden leben wollten.
Die österreichische Botschaft war eines der imposantesten Gebäude am vornehmen Belgrave Square. Walter wurde in Roberts Büro geführt. Sie teilten einander stets die neuesten Neuigkeiten mit. Es gab auch keinen Grund zur Heimlichtuerei: Ihre beiden Heimatländer waren enge Verbündete. »Der Kaiser ist offenbar entschlossen, seinen Plan vom Faustpfand Belgrad durchzusetzen«, sagte Walter, als er Platz genommen hatte. »Dann können die restlichen Fragen in Ruhe geklärt werden.«
Robert teilte seinen Optimismus nicht. »Das wird nicht funktionieren.«
»Warum nicht?«
»Wir sind nicht bereit, in Belgrad haltzumachen.«
»Um Himmels willen!«, stieß Walter hervor. »Bist du sicher?«
»Die Minister in Wien werden morgen darüber diskutieren, aber ich fürchte, das Ergebnis steht bereits fest. Ohne Garantien Russlands können wir in Belgrad nicht haltmachen.«
»Garantien?«, erwiderte Walter entrüstet. »Erst müsst ihr aufhören zu kämpfen, dann können wir über die Probleme reden. Ihr könnt im Vorfeld keine Garantien verlangen!«
»Ich fürchte, das sehen wir anders«, sagte Robert steif.
»Aber wir sind eure Verbündeten. Wie könnt ihr unseren Friedensplan ablehnen?«
»Das ist leicht. Denk doch mal darüber nach. Was könnt ihr schon tun? Wenn Russland mobilmacht, seid ihr genauso bedroht wie wir und müsst ebenfalls mobilmachen.«
Walter wollte protestieren, sah aber ein, dass Robert recht hatte. War die russische Armee erst mobilisiert, war die Bedrohung viel zu groß.
Robert fuhr erbarmungslos fort: »Ihr müsst an unserer Seite kämpfen, ob ihr wollt oder nicht. Entschuldige, wenn ich mich arrogant anhöre, aber ich sage nur die Wahrheit.«
»Verdammt!«, rief Walter. Am liebsten wäre er in Tränen ausgebrochen. Bis jetzt hatte er sich an die Hoffnung geklammert, doch Roberts düstere Worte hatten sie zerschlagen. »Alles läuft falsch, nicht wahr?«, sagte er. »Diejenigen, die Frieden wollen, werden diesen Kampf verlieren.«
Robert blickte betrübt drein und sagte mit trauriger Stimme: »Das habe ich von Anfang an gewusst. Österreich muss angreifen.«
Walter stutzte. Bis jetzt hatte Robert immer optimistisch geklungen, wenn nicht sogar
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