Sturz der Titanen
Sinn der vielen Gespräche, die wir mit dem französischen Militär geführt haben?«
»Es ging darum, Möglichkeiten auszuloten! Ausweichpläne zu erstellen! Gespräche sind keine Verträge – schon gar nicht in der internationalen Politik.«
»Aber Freunde bleiben Freunde. Großbritannien nimmt eine führende Stellung in der Welt ein. Als Frau verstehst du so etwas nicht unbedingt, aber man erwartet von uns, dass wir unseren Nachbarn zur Seite stehen. Als Gentlemen ist uns schon der leiseste Anklang von Falschheit ein Gräuel, und als Nation sollten wir genauso handeln.«
Exakt durch solches Gerede könnte Großbritannien doch noch in einen Krieg verwickelt werden, dachte Maud mit einem Anflug von Panik. Sie war einfach nicht imstande, ihrem Bruder die Gefahr deutlich zu machen. Ihre geschwisterliche Zuneigung war stets größer gewesen als ihre politischen Differenzen, aber jetzt waren sie beide so wütend, dass ein ernsthafter Streit zwischen ihnen entbrennen konnte. Und wenn Fitz sich mit jemandem entzweite, lenkte er nicht so schnell wieder ein. Dennoch war er es, der kämpfen müsste und vielleicht fiel, der erschossen oder aufgespießt oder in Stücke gerissen wurde – Fitz, und Walter ebenso. Wieso konnte Fitz das nicht sehen? Maud war zum Schreien zumute.
Während sie um angemessene Worte rang, meldete sich ein anderer Gast. Maud erkannte ihn als Auslandsredakteur der Times , einen Mann namens Steed. »Ich kann Ihnen sagen, dass die deutsch-jüdische internationale Finanzwelt auf schmutzige Art und Weise mein Blatt zwingen will, der Neutralität das Wort zu reden«, erklärte er.
Die Herzogin schürzte die Lippen: Die Sprache der Skandalpresse schätzte sie nicht.
»Was veranlasst Sie zu dieser Behauptung?«, wandte Maud sich kühl an Steed.
»Gestern hat Lord Rothschild an unsere Finanzredaktion geschrieben«, antwortete der Journalist. »Er verlangt, dass wir im Interesse des Friedens den deutschfeindlichen Ton unserer Artikel mäßigen.«
Maud kannte Natty Rothschild, ein Liberaler. Sie entgegnete: »Und was hält Lord Northcliffe von Rothschilds Ersuchen?« Northcliffe war Eigentümer der Times .
Steed grinste. »Er hat angeordnet, noch heute einen schärferen Artikel zu drucken.« Er nahm ein Exemplar der Zeitung vom Beistelltisch und schwenkte es. »Frieden ist nicht unser größtes Interesse«, zitierte er.
Maud konnte sich nichts Verachtenswerteres vorstellen, als vorsätzlich den Krieg zu unterstützen. Sie merkte Fitz an, dass selbst ihn das frivole Verhalten des Journalisten abstieß. Maud wollte gerade etwas sagen, als Fitz, der auch dem schlimmsten Scheusal mit vollendeter Höflichkeit begegnete, das Thema wechselte. »Ich habe den französischen Botschafter, Paul Cambon, soeben das Foreign Office verlassen sehen«, sagte er. »Der Mann war weiß wie ein Tischtuch. Ils vont nous lâcher , hat er gesagt: ›Sie werden uns im Stich lassen.‹ Er war gerade bei Grey gewesen.«
Die Herzogin fragte: »Was hat Grey denn gesagt, das Monsieur Cambon so aufregen konnte? Weißt du das?«
»Ja, Cambon selbst hat es mir erzählt. Offenbar sind die Deutschen bereit, Frankreich in Ruhe zu lassen, wenn Frankreich verspricht, sich aus dem Krieg herauszuhalten – und wenn die Franzosen dieses Angebot ausschlagen, wird Großbritannien sich nicht verpflichtet fühlen, Frankreich zu verteidigen.«
Maud tat der französische Botschafter leid, doch die Hoffnung, dass Großbritannien dem Krieg vielleicht doch fernbleiben könnte, ließ ihr Herz schneller schlagen.
»Aber Frankreich muss dieses Angebot zurückweisen«, erklärte die Herzogin. »Es hat einen Bündnisvertrag mit Russland, nach dem das eine Land dem anderen im Kriegsfall zur Seite stehen muss.«
»Genau!«, rief Fitz verärgert. »Welchen Sinn haben internationale Bündnisse, wenn man sie bei der ersten Krise bricht?«
»Unsinn«, erwiderte Maud. Es kümmerte sie nicht, dass sie grob zu ihrem Bruder war. »Internationale Bündnisse werden gebrochen, wann immer es vorteilhaft ist. Darum geht es hier gar nicht.«
»Und worum dann, bitte schön?«, fragte Fitz frostig.
»Ich glaube, Asquith und Grey versuchen nur, die Franzosen mit einer Prise Wirklichkeit zu ängstigen. Ohne unsere Hilfe können die Franzosen Deutschland nicht besiegen. Wenn Frankreich glaubt, es müsse allein in den Krieg ziehen, wird es sich vielleicht als Friedensstifter betätigen und seine russischen Verbündeten bewegen, von einem Krieg gegen Deutschland
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