Sturz der Titanen
werden.
Lichnowsky antwortete mit der gleichen angestrengten diplomatischen Förmlichkeit. »Welchen Hinweis können Sie mir auf den Gegenstand dieser Erklärung geben, Sir William?«
Um Gottes willen, dachte Walter, wir reden hier über Leben und Tod!
Sir Williams Antwort war mit sorgfältiger Präzision formuliert: »Wenn Deutschland von einem Angriff auf Frankreich absieht, wäre es möglich, dass Frankreich und Großbritannien erörtern, ob sie wirklich verpflichtet sind, in dem osteuropäischen Konflikt zu intervenieren.«
Walter war so entsetzt, dass er den Bleistift fallen ließ. Keine Kriegsbeteiligung Frankreichs und Englands – das war es, was er wollte! Er blickte auf Lichnowsky. Der Botschafter wirkte ebenfalls erstaunt. »Das scheint eine große Hoffnung zu sein«, sagte er.
Tyrell mahnte ihn zur Vorsicht, indem er die Hand hob. »Bitte verstehen Sie, dass ich kein Versprechen geben kann.«
Das ist klar, dachte Walter, aber du bist auch nicht auf ein zwangloses Schwätzchen hierhergekommen.
»Dann lassen Sie mich einfach sagen«, entgegnete Lichnowsky, »dass Seine Majestät Kaiser Wilhelm und die deutsche Regierung einen Vorschlag zur Begrenzung des Krieges auf den Osten mit großem Interesse in Erwägung ziehen würden.«
»Ich danke Ihnen.« Tyrell erhob sich. »Ich werde Sir Edward dahingehend berichten.«
Walter führte Tyrell hinaus. Er empfand ein Hochgefühl. Wenn Frankreich und England sich nicht am Krieg beteiligten, würde seiner Heirat mit Maud nichts im Wege stehen. Oder war das nur ein Hirngespinst?
Er kehrte ins Büro des Botschafters zurück. Ehe sie Gelegenheit hatten, die Erklärung Tyrells zu erörtern, klingelte der Fernsprecher. Walter hob ab und hörte eine bekannte englische Stimme: »Hier spricht Grey. Dürfte ich Seine Exzellenz sprechen?«
»Selbstverständlich, Sir.« Walter reichte dem Botschafter den Hörer. »Sir Edward Grey.«
»Hier Lichnowsky, guten Morgen … Jawohl, Sir William ist gerade gegangen …«
Walter konnte den Blick nicht vom Botschafter nehmen, lauschte gespannt und versuchte in seinem Gesicht zu lesen.
»Ein sehr interessanter Vorschlag … Gestatten Sie mir, unsere Position deutlich zu machen. Deutschland hat keinen Grund für einen Streit mit Frankreich und Großbritannien.«
Offenbar sprach Grey über das Gleiche wie Tyrell. Und wie es aussah, war es den Engländern sehr ernst damit.
Lichnowsky sagte: »Die russische Generalmobilmachung ist eine unübersehbare Gefahr, stellt aber eine Bedrohung unserer Ostgrenze und der unseres Verbündeten Österreich-Ungarn dar. Wir haben Frankreich gebeten, seine Neutralität zu garantieren. Wenn Frankreich unserem Wunsch nachkommt – oder wenn Großbritannien die französische Neutralität garantieren kann –, gibt es keinen Grund für einen Krieg in Westeuropa. Ich danke Ihnen, Sir. Das ist perfekt. Ich rufe Sie heute Nachmittag um halb vier an.« Er hängte ein.
Dann sah er Walter an. Beide lächelten frohlockend. »Also wirklich«, sagte Lichnowsky, »damit hätte ich nicht gerechnet!«
Maud war auf Sussex House, wo eine Gruppe einflussreicher konservativer Abgeordneter und Peers sich im Morgensalon der Herzogin zum Tee versammelt hatten, als ein zornbebender Fitz eintrat. »Asquith und Grey bröckeln!«, rief er. Er zeigte auf eine silberne Kuchenplatte. »Sie bröckeln wie dieser zerdrückte Teekuchen! Sie werden unsere Freunde verraten. Ich schäme mich, Engländer zu sein.«
Maud hatte es befürchtet. Fitz ging keine Kompromisse ein. Er war der Ansicht, Großbritannien solle Befehle erteilen, und der Rest der Welt müsse gehorchen. Die Vorstellung, dass die Regierung Seiner Majestät mit anderen als Gleichgestellten verhandeln sollte, war ihm ein Gräuel. Und es gab erschreckend viele Menschen, die seine Meinung teilten.
»Fitz, mein Lieber«, sagte die Herzogin, »beruhige dich und erzähl uns, was geschehen ist.«
»Asquith hat heute Morgen einen Brief an Douglas geschickt«, sagte Fitz. Maud nahm an, dass er General Sir Charles Douglas meinte, den Chef des Imperialen Generalstabs. »Unser Premierminister wollte betonen, dass die Regierung niemals versprochen habe, im Fall eines Krieges gegen Deutschland britische Truppen nach Frankreich zu entsenden!«
Als einzige anwesende Liberale fühlte Maud sich verpflichtet, die Regierung in Schutz zu nehmen. »Aber es stimmt doch, Fitz. Asquith macht nur deutlich, dass uns nach wie vor alle Möglichkeiten offenstehen.«
»Was war dann der
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