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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Rand. Sie besaß einen Zugbeutel aus blauem Samt, der zu dem Kleid passte und in dem sie einen Kamm, eine kleine Flasche Parfüm und einen sauberen Schlüpfer verstaute.
    Die Uhr schlug halb vier. Walter wartete bereits draußen. Das Herz schlug Maud bis zum Hals.
    Sie ließ den Schleier herunter und betrachtete sich im Ganzfigurspiegel. Ein echtes Hochzeitskleid war es nicht gerade, aber für das Standesamt dürfte es angemessen sein, vermutete sie. Aber sie war noch nie bei einer Heirat vor einem Standesbeamten dabei gewesen; deshalb konnte sie es nicht mit Sicherheit sagen.
    Sie nahm den Schlüssel aus dem Schloss, stellte sich an die geschlossene Tür und horchte. Auf keinen Fall wollte sie jemandem begegnen, der ihr Fragen stellen könnte. Wurde sie von einem Diener oder einem Putzjungen gesehen, spielte es keine Rolle, denn die männlichen Bediensteten interessierten sich kaum dafür, was sie tat, aber sämtliche Dienstmädchen würden mittlerweile wissen, dass sie angeblich krank war, und dann flog ihre Täuschung auf. Die Peinlichkeit war Maud ziemlich egal; viel mehr fürchtete sie, dass man versuchen würde, sie aufzuhalten.
    Sie wollte gerade die Tür öffnen, als sie schwere Schritte hörte und Tabakrauch roch. Das musste Fitz sein, der seine Zigarre nach dem Mittagessen rauchte und zum Oberhaus oder zum White’s Club aufbrach. Maud wartete ungeduldig.
    Nachdem ein paar Augenblicke Schweigen geherrscht hatte, blickte sie hinaus auf den breiten Flur. Niemand zu sehen. Sie trat hinaus, schloss die Tür, sperrte sie ab und legte den Schlüssel in ihre Samttasche. Jeder, der ihre Tür zu öffnen versuchte, würde nun glauben, dass sie drinnen schlief.
    Leise ging Maud den teppichbedeckten Flur hinunter zum oberen Ende der Treppe und blickte nach unten. Unter ihr, in der Halle, war niemand zu sehen. Rasch stieg sie die Stufen hinunter. Als sie den Treppenabsatz erreichte, hörte sie ein Geräusch und erstarrte. Die Tür zum Untergeschoss schwang auf, und Grout kam heraus. Maud hielt den Atem an. Ihr Blick haftete auf dem kahlen Fleck an Grouts Scheitel, während der Butler mit zwei Portweinkaraffen die Halle durchquerte. Er ging mit dem Rücken zur Treppe und verschwand im Esszimmer, ohne dass er zu Maud hinaufgeschaut hatte.
    Kaum hatte die Tür sich hinter ihm geschlossen, als Maud alle Vorsicht in den Wind schlug und das letzte Stück der Treppe hinunterrannte. Sie öffnete die Haustür, trat hindurch und schlug sie hinter sich zu. Im nächsten Moment wünschte sie sich, sie hätte die Tür leise geschlossen, aber nun war es zu spät.
    Die ruhige Straße in Mayfair dörrte in der Augustsonne. Maud schaute in beide Richtungen und sah den Pferdewagen eines Fischhändlers, ein Kindermädchen, das einen Korbwagen schob, und einen Taxifahrer, der an seiner Motordroschke den Reifen wechselte. Hundert Yards entfernt stand auf der anderen Straßenseite ein weißes Automobil mit einem blauen Leinwanddach. Maud mochte Kraftwagen und erkannte den Benz 10/30 PS , der Walters Cousin Robert gehörte.
    Als Maud die Straße überquerte, stieg Walter aus. Er trug einen hellgrauen Gesellschaftsanzug mit einer weißen Nelke. Er sah ihr in die Augen, und sie erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er bis zu dieser Sekunde nicht sicher gewesen war, ob sie wirklich kommen würde. Der Gedanke trieb ihr eine Träne ins Auge.
    Nun jedoch leuchtete sein Gesicht vor Entzücken. Wie eigentümlich und wunderbar, dachte sie, einem anderen Menschen solches Glück zu bringen.
    Sie warf einen unruhigen Blick zum Haus zurück. Grout stand in der Tür und schaute verdutzt die Straße hinauf und hinunter. Er hatte offenbar gehört, wie Maud die Tür zugeknallt hatte.
    Entschlossen richtete Maud den Blick nach vorn.
    Endlich frei!
    Walter küsste ihr die Hand. Sie wollte ihm einen richtigen Kuss geben, aber der Schleier war im Weg. Außerdem gehörte es sich nicht vor der Trauung, und man brauchte ja nicht sämtliche Anstandsregeln über Bord zu werfen.
    Robert saß am Lenkrad. Er fasste sich grüßend an den grauen Zylinder. Walter vertraute ihm. Er wäre einer der Trauzeugen.
    Walter öffnete die Tür, und Maud stieg in den Fond. Dort saß bereits jemand, und Maud erkannte die Haushälterin von Ty Gwyn. »Williams!«, rief sie aus.
    Ethel lächelte. »Sie sollten jetzt lieber Ethel zu mir sagen«, sagte sie. »Ich bin Ihre Trauzeugin.«
    »Natürlich, tut mir leid.« Aus einem Impuls heraus umarmte Maud sie. »Danke, dass Sie mitkommen.«

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