Sturz der Titanen
sich bewusst, dass sie das Alter von dreiundzwanzig Jahren erreicht hatte, ohne jemanden kennengelernt zu haben, den sie auch nur entfernt als Ehemann in Betracht gezogen hätte. Walter war anders als alle Männer, die Maud ihn ihrem Leben kennengelernt hatte. Sie wollte ihn oder keinen.
Der Standesbeamte sprach nun die Worte vor, die zuerst Walter wiederholen sollte. »Ich erkläre feierlich, dass ich von keinem rechtlichen Hindernis weiß, das mich, Walter von Ulrich, daran hindern könnte, Maud Elizabeth Fitzherbert zu der mir angetrauten Ehefrau zu nehmen.«
Maud beobachtete Walters Gesicht, als er sprach. Seine Stimme war fest und klar.
Als sie dann selbst sprach, betrachtete Walter sie mit feierlichem Ernst. Das mochte sie so an ihm. Die meisten Männer neigten zu Albernheiten, wenn sie mit Frauen sprachen. Walter jedoch verhielt sich ihr gegenüber genauso, als spräche er mit Robert oder Fitz. Und was noch ungewöhnlicher war: Er hörte sogar zu, wenn sie antwortete.
Als Nächstes kamen die Gelöbnisse. Walter schaute ihr dabei in die Augen, und diesmal hörte sie ein leichtes Zittern in seiner Stimme, das seine innere Bewegtheit verriet. Dann leistete Maud den gleichen Schwur: »Ich nehme die hier anwesenden Personen als Zeugen, dass ich, Maud Elizabeth Fitzherbert, dich, Walter von Ulrich, zu meinem rechtmäßig mir angetrauten Ehemann nehme.« Mauds Stimme war fest, sodass es ihr beinahe peinlich war, keine innere Regung zu zeigen, aber das wäre nicht ihr Stil gewesen. Sie zog es vor, kühl zu erscheinen, auch wenn sie es gar nicht war. Walter wusste das. Und mehr als jeder andere kannte er die Stürme der Leidenschaft, die in ihrem Inneren tobten.
»Haben Sie einen Ring?«, fragte der Standesbeamte. Maud hatte daran nicht einmal gedacht – aber Walter schon. Er zog einen schlichten goldenen Ehering aus der Westentasche, nahm Mauds Hand und steckte ihn ihr auf den Finer. Er musste die Größe geschätzt haben, doch der Ring passte fast genau, war vielleicht eine Nummer zu weit. Doch weil ihre Ehe geheim bleiben sollte, würde Maud den Ring ohnehin eine Zeit lang nicht tragen können, außer an diesem Tag.
»Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau«, sagte der Standesbeamte. »Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
Walter küsste sie sanft auf die Lippen. Maud legte den Arm um seine Taille und zog ihn an sich. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
Der Standesbeamte sagte: »Nun zur Heiratsurkunde. Vielleicht möchten Sie sich setzen, Mrs. Ulrich.«
Walter lächelte, Robert kicherte, und Ethel stieß einen leisen Freudenschrei aus. Alle setzten sich, und der Schreiber füllte die Heiratsurkunde aus. Walter gab den Beruf seines Vaters als Heeresoffizier an und Danzig als den Geburtsort. Maud nannte als ihren Vater George Fitzherbert, Landwirt von Beruf – bei Ty Gwyn wurde tatsächlich eine kleine Schafherde gehalten, daher war die Beschreibung nicht im eigentlichen Sinne falsch –, und als ihren Geburtsort London. Robert und Ethel unterzeichneten als Trauzeugen.
Als sie aus dem Trauzimmer durch die Eingangshalle gingen, wartete dort bereits eine weitere schöne Braut mit einem nervösen Bräutigam, um eine lebenslange Verpflichtung einzugehen. Während sie Arm in Arm die Stufen zum Wagen hinuntergingen, der am Straßenrand parkte, bewarf Ethel sie mit einer Handvoll Konfetti. Unter den Zuschauern bemerkte Maud eine junge Frau aus der Mittelschicht, ungefähr in ihrem Alter, die mit einem Paket aus einem Geschäft kam. Sie musterte Walter eingehend; dann richtete sie ihren Blick auf die Braut. Maud sah Neid in den Augen der Frau. Ja, dachte sie, ich habe ganz schön Glück gehabt.
Walter und Maud setzten sich wieder in den Fond des Automobils; Ethel fuhr diesmal auf dem Vordersitz mit. Als Robert losfuhr, nahm Walter Mauds Hand und küsste sie. Sie blickten einander in die Augen und lachten. Maud hatte Paare schon in ähnlicher Situation beobachtet und es immer für sentimental gehalten, doch jetzt erschien es ihr als das Natürlichste auf der Welt.
Wenige Minuten später trafen sie am Hotel Hyde ein. Maud ließ den Schleier herunter. Walter nahm ihren Arm, und sie gingen durch das Foyer zur Treppe. »Ich bestelle den Champagner«, sagte Robert.
Walter hatte die beste Suite genommen und mit Blumen schmücken lassen; es mussten hundert korallenrote Rosen sein. Maud kamen die Tränen, während Ethel nach Luft schnappte. Auf einem Büfett standen eine Schale Obst und eine Schachtel Pralinen.
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