Sturz der Titanen
schweifen. »Und wenn ich höre, wie sogar Sozialisten gegen eine gleiche Bezahlung beider Geschlechter Einwände erheben, so kann ich ihnen nur entgegnen: Wollt ihr gierigen Fabrikbesitzern erlauben, Frauen als billige Arbeitskräfte auszubeuten?«
Eine Frau von Mauds Herkunft musste viel Mut und Entschlossenheit aufbringen, um solche Ansichten zu vertreten. Hinzu kam, dass sie Maud um ihre schönen Kleider und ihren flüssigen Redestil beneidete. Vor allem aber hatte Maud den Mann heiraten können, den sie liebte.
Nach der Rede nahmen die männlichen Parteimitglieder Maud ins Kreuzverhör. Der Schatzmeister der Ortsgruppe, ein rotgesichtiger Schotte namens Jock Reid, wollte wissen: »Wie können Sie nach dem Stimmrecht für Frauen rufen, wenn unsere Jungs in Frankreich sterben?« Reid fand lautstarke Zustimmung.
»Ich bin froh, dass Sie das ansprechen«, erwiderte Maud, »denn Fragen wie diesen liegen vielen Männern und Frauen am Herzen. Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten: Sollten während des Krieges die politischen Aktivitäten denn nicht weitergehen? Sollten keine Versammlungen der Arbeiterpartei mehr stattfinden? Sollten Gewerkschaften nicht mehr gegen die Ausbeutung der Arbeiter kämpfen? Hat die Konservative Partei für die Dauer des Krieges dichtgemacht? Sind Ungerechtigkeit und Unterdrückung vorübergehend aufgehoben worden? Ich sage Nein, Genosse! Wir dürfen nicht zulassen, dass die Feinde des Fortschritts sich den Krieg zunutze machen. Er darf nicht zum Vorwand der Traditionalisten werden, uns an die Kandare zu nehmen. Wie Mr. Lloyd George sagt: Business as usual. «
Nach der Versammlung gab es Tee – natürlich von den Frauen gekocht –, und Maud setzte sich zu Ethel. Sie streifte die Handschuhe ab und nahm Tasse und Untertasse aus blauem Steingut in ihre weichen, glatten Hände. Ethel, die es für unfreundlich gehalten hätte, hätte sie Maud die Wahrheit über Fitz anvertraut, trug stattdessen die neueste Version ihrer erfundenen Sage von »Teddy Williams« vor, dem Vater ihres Kindes, der mittlerweile in Frankreich gefallen sei. »Ich erzähle den Leuten, Teddy und ich wären verheiratet gewesen«, sagte sie und berührte den billigen Ring, den sie trug. »Obwohl das in Zeiten wie diesen ja gar nicht mehr so wichtig ist. Bevor die Jungs in den Krieg ziehen, wollen die Mädchen ihnen was Gutes tun, ob sie verheiratet sind oder nicht.« Sie senkte die Stimme. »Von Walter haben Sie wohl nichts gehört …?«
»Oh doch.« Maud lächelte. »Haben Sie in der Zeitung vom Weihnachtswaffenstillstand gelesen?«
»Ja, natürlich. Deutsche und Briten haben sich gegenseitig Geschenke gemacht und im Niemandsland Fußball gespielt. Eine Schande, dass sie es nicht dabei belassen haben. Jetzt kämpfen sie längst wieder.«
»Ja. Jedenfalls, beim Weihnachtswaffenstillstand haben Fitz und Walter sich getroffen!«
Ethel konnte es kaum glauben. »Im Ernst?«
»Ja! Natürlich weiß Fitz noch nicht, dass wir verheiratet sind, und Walter musste vorsichtig sein mit dem, was er sagte. Aber er hat mir ausrichten lassen, dass er an Weihnachten an mich gedacht hat.«
Ethel drückte Mauds Hand. »Also geht es ihm gut!«
»Er war an der Schlacht um Ostpreußen dabei, und jetzt ist er in Frankreich an der Front, aber er wurde nicht verwundet.«
»Gott sei Dank. Aber jetzt werden Sie wohl so schnell nicht wieder von ihm hören, nicht wahr? So ein Glück hat man nicht zweimal.«
»Ich fürchte, das stimmt. Meine einzige Hoffnung ist, dass Walter in ein neutrales Land geschickt wird, nach Schweden oder in die Vereinigten Staaten, von wo aus er mir schreiben kann. Andernfalls muss ich warten, bis der Krieg zu Ende ist.«
»Und was ist mit dem Earl?«
»Fitz geht es gut. Die ersten Kriegswochen war er in Paris stationiert und hat sich ein schönes Leben gemacht.«
Während ich bei Ausbeutern und Pfennigfuchsern nach Arbeit suchen musste, dachte Ethel zornig.
Maud fuhr fort: »Fürstin Bea hat einen Jungen zur Welt gebracht.«
»Oh, wie schön! Fitz wird glücklich sein, einen Erben zu haben.«
»Wir alle sind glücklich«, entgegnete Maud, und Ethel merkte, dass sie zwar Rebellin war, aber dennoch Aristokratin blieb.
Die Versammlung löste sich auf. Auf Maud wartete ein Taxi, und sie verabschiedeten sich. Bernie Leckwith stieg mit Ethel in den Bus. »Die Frau war besser, als ich dachte«, sagte er. »Oberschicht zwar, aber ganz in Ordnung. Und freundlich, besonders zu dir. Wahrscheinlich hast du die
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