Sturz der Titanen
aufgrund der Blockade in den Häfen gehalten wurden. Es war kaum vorstellbar, dass irgendeine Regierung solchen Forderungen nachkam. »Aber die Öffentlichkeit steht hinter dem Präsidenten.«
»Die Öffentlichkeit kann sich irren.«
»Aber der Präsident kann das nicht einfach ignorieren. Schauen Sie … Was Wilson macht, ist ein Drahtseilakt. Er will uns aus dem Krieg heraushalten, gleichzeitig aber auch vermeiden, dass Amerika auf dem internationalen Parkett als Schwächling dasteht. Ich finde, für den Augenblick hat er den richtigen Weg gefunden.«
»Und in Zukunft?«
Das war die besorgniserregende Frage. »Die Zukunft kann niemand voraussehen«, antwortete Gus, »nicht einmal Woodrow Wilson.«
Rosa lachte. »Eine typische Politikerantwort. Sie werden es in Washington weit bringen.« Jemand sprach sie an, und sie wandte sich von Gus ab.
Gus schlenderte weiter. Er fühlte sich ein bisschen wie nach einem Boxkampf, der unentschieden ausgegangen war.
Ein Teil des Publikums wurde zum Tee mit dem Vortragenden eingeladen. Gus gehörte zu diesen Privilegierten, weil seine Mutter eine Mäzenin des Museums war. Er ließ Rosa zurück und ging in ein Privatzimmer. Als er es betrat, entdeckte er zu seiner Freude Olga. Zweifellos spendete auch ihr Vater Geld.
Gus nahm sich eine Tasse Tee und ging zu ihr. »Sollten Sie mal in Washington sein, würde ich mich freuen, Ihnen das Weiße Haus zeigen zu dürfen«, sagte er.
»Könnten Sie mich auch dem Präsidenten vorstellen?«
Am liebsten hätte Gus gesagt: Ja! Alles! Stattdessen zögerte er, etwas zu versprechen, was er vielleicht nicht würde halten können. »Unter Umständen«, sagte er. »Es hängt davon ab, wie beschäftigt er ist. Sitzt er erst mal hinter seiner Schreibmaschine und fängt an, Reden und Presseerklärungen zu tippen, darf ihn niemand stören.«
»Ich war sehr traurig, als seine Frau gestorben ist«, sagte Olga. Ellen Wilson war vor gut einem Jahr verstorben, kurz nach Kriegsausbruch in Europa.
Gus nickte. »Der Präsident war am Boden zerstört.«
»Aber wie ich höre, macht er bereits einer wohlhabenden Witwe den Hof.«
Gus wurde unbehaglich zumute. Es war ein offenes Geheimnis in Washington, dass Wilson sich bis über beide Ohren in die üppige Mrs. Edith Galt verliebt hatte, und das nur acht Monate nach dem Tod seiner Frau. Der Präsident war achtundfünfzig, seine Angebetete einundvierzig. Zurzeit weilten sie gemeinsam in New Hampshire. Gus gehörte zu der kleinen Gruppe, die wusste, dass Wilson seiner Angebeteten vor einem Monat einen Heiratsantrag gemacht hatte, doch Mrs. Galt hatte ihm noch keine Antwort gegeben.
Gus fragte: »Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Stimmt es denn?«
Zu gerne hätte er sie mit seinem intimen Wissen beeindruckt, doch er widerstand der Versuchung. »Über solche Dinge kann ich nicht sprechen«, sagte er widerwillig.
»Ach, wie schade. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir ein paar Gerüchte anvertrauen.«
»Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.«
»Seien Sie nicht dumm.« Olga berührte seinen Arm, und ein Kribbeln huschte über seine Haut. »Morgen Nachmittag gebe ich eine Tennisparty«, sagte sie. »Spielen Sie?«
Gus spielte sogar recht gut. »Ja. Ich liebe Tennis.«
»Und? Kommen Sie?«
»Es wäre mir eine Freude.«
Lew lernte an nur einem Tag Autofahren. Die andere wichtige Fertigkeit eines Chauffeurs, das Wechseln kaputter Reifen, beherrschte er nach ein paar Stunden. Am Ende der Woche konnte er außerdem Tanken, Öl wechseln und die Bremsen einstellen. Und sollte der Wagen nicht fahren, wusste er, wie man die Batterie oder eine verstopfte Treibstoffleitung überprüfte.
Pferde seien das Transportmittel der Vergangenheit, hatte Joseph Vyalov ihm gesagt. Stallburschen wurden schlecht bezahlt; es gab einfach zu viele davon. Chauffeure aber waren selten und verdienten gut.
Außerdem wolle Vyalov einen Fahrer, der gleichzeitig als Leibwächter fungieren konnte.
Vyalovs Wagen war ein brandneuer Packard Twin Six, eine siebensitzige Limousine. Andere Chauffeure waren beeindruckt. Das Modell war erst vor ein paar Wochen auf den Markt gekommen, und sein Zwölfzylindermotor erregte den Neid der Fahrer des Cadillac V 8.
Nur von Vyalovs ultramodernem Haus war Lew nicht sehr beeindruckt. Für ihn war es der größte Kuhstall der Welt. Es war lang und niedrig, mit breiten, überhängenden Dachkanten. Der Gärtner erklärte ihm, es sei ein »Prärie-Haus« und die neueste Mode.
»Wenn ich so ein großes
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