Sturz der Titanen
Haus hätte, müsste es auch wie ein Palast aussehen«, sagte Lew.
Er dachte darüber nach, Grigori zu schreiben und ihm alles über Buffalo, seine Arbeit und das Auto zu berichten; aber er zögerte. Gerne hätte er gesagt, dass er bereits Geld für Grigoris Überfahrt beiseitegelegt hatte, aber das stimmte nicht; er hatte gar nichts gespart. Doch sobald er ein kleine Summe beisammenhatte, würde er schreiben; das schwor er sich. Grigori wiederum konnte Lew nicht schreiben, weil er dessen Adresse nicht kannte.
Die Familie Vyalov bestand aus drei Personen: Joseph, seiner Frau Lena, die nur selten sprach, und Olga, einer hübschen Tochter, die ungefähr in Lews Alter war. Vyalov war fest entschlossen, Olga zu einer geachteten jungen Frau zu erziehen und in die gesellschaftliche Elite Buffalos zu verheiraten. Seiner Frau gegenüber war er stets aufmerksam und höflich, auch wenn er die meisten Abende mit seinen Leuten verbrachte, und seine Tochter behandelte er liebevoll, aber streng. Häufig fuhr er mittags nach Hause, um mit Lena und Olga zu essen. Nach dem Mittagessen machten er und Lena dann ein Nickerchen.
Wenn Lew darauf wartete, Joseph wieder in die Stadt zu fahren, sprach er manchmal mit Olga. Obwohl der Vater es ihr streng verboten hatte, rauchte sie gerne Zigaretten – vorzugsweise in der Garage, ein für Olga idealer Rückzugsort auf dem väterlichen Besitz, weil Joseph kaum einmal hierherkam. Dann saß sie auf dem Rücksitz des Packard, im Seidenkleid auf dem duftigen Leder, während Lew sich an die Tür lehnte, ein Fuß auf dem Trittbrett, und mit ihr plauderte. Dabei war er sich bewusst, wie gut er in der Chauffeursuniform aussah, die Kappe flott nach hinten geschoben.
Schon nach kurzer Zeit fand er heraus, dass man Olga am besten schmeichelte, indem man ihr sagte, dass sie Klasse hatte, dass sie sich wie eine Prinzessin bewegte, wie eine Präsidentengattin redete und sich wie eine modebewusste Pariserin kleidete. Olga war ein Snob, genau wie ihr Vater. Von Berufs wegen war Joseph kaum mehr als ein Schläger, doch Lew war aufgefallen, wie kultiviert, ja beinahe unterwürfig er wurde, wenn er mit Männern von hohem gesellschaftlichem Rang sprach, Bankdirektoren zum Beispiel oder Kongressabgeordneten.
Lew hatte Olga rasch durchschaut. Sie war ein wohlbehütetes, reiches Mädchen, das keine Möglichkeit hatte, ihre natürlichen romantischen und sexuellen Triebe auszuleben. Anders als die jungen Frauen, die Lew in den Elendsvierteln von Sankt Petersburg gekannt hatte, konnte Olga sich nicht aus dem elterlichen Haus stehlen, um sich in der Dämmerung mit einem Jungen zu treffen und sich in den Schatten eines Ladeneingangs von ihm befummeln zu lassen. Sie war zwanzig und noch immer Jungfrau. Es war sogar möglich, dass sie noch nie geküsst worden war.
Lew verfolgte das Tennisspiel aus der Ferne und genoss den Anblick von Olgas schlankem Körper, besonders das Hüpfen ihrer Brüste unter dem leichten Baumwollkleid, wenn sie über den Platz rannte. Sie spielte gegen einen sehr großen Mann in weißer Flanellhose, der Lew irgendwie bekannt vorkam. Er sah ihn sich genauer an und erinnerte sich schließlich, wo er den Mann schon einmal gesehen hatte: in den Putilow-Werken. Lew hatte ihm einen Dollar abgeluchst, und Grigori hatte ihn gefragt, ob Joseph Vyalov wirklich eine große Nummer in Buffalo sei. Wie hieß der Bursche noch mal? Ähnlich wie eine Whiskeymarke … Dewar? Ja, richtig. Gus Dewar.
Gut ein halbes Dutzend junger Leute verfolgte das Spiel, die Mädchen in bunten Sommerkleidern, die Männer mit Strohhüten. Mrs. Vyalov saß mit einem zufriedenen Lächeln unter einem Sonnenschirm. Eine Dienerin servierte Limonade.
Nachdem Gus Dewar das Match gewonnen hatte, gingen er und Olga vom Tenniscourt. Augenblicklich nahm ein anderes Paar ihren Platz ein. Kühn nahm Olga eine Zigarette von ihrem Gegner an. Lew beobachtete, wie Dewar sie ihr anzündete. Zu gerne wäre er einer aus dieser Clique junger Leute gewesen, die in sportlicher Kleidung Tennis spielten und Limonade tranken.
Ein wilder Schlag der Spielerin ließ den Ball in seine Richtung fliegen. Lew hob ihn auf, doch statt ihn zurückzuwerfen, brachte er ihn zum Platz und reichte ihn der Frau. Dabei schaute er zu Olga. Sie war in ein Gespräch mit Dewar versunken und redete auf jene kokette Art mit ihm, wie sie es immer mit Lew in der Garage tat. Lew überkam ein Anflug von Eifersucht. Am liebsten hätte er dem großen Kerl eins in die Schnauze
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