Sturz der Titanen
gehauen. Dann drehte Olga sich in Lews Richtung, und er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln, doch sie wandte sich ab, als hätte sie ihn gar nicht gesehen. Die anderen jungen Leute ignorierten ihn sowieso, als wäre er Luft.
Was ist so schlimm daran, tröstete sich Lew. Warum sollte ein Mädchen nicht freundlich zum Chauffeur sein, wenn sie heimlich in der Garage rauchte, und ihn dann wie ein Möbelstück behandeln, wenn sie mit ihren Freunden zusammen war? Trotzdem fühlte Lew sich in seinem Stolz verletzt.
Er wandte sich ab und sah Olgas Vater, der sich über den Kiesweg dem Tennisplatz näherte. Vyalov trug einen Geschäftsanzug mit Weste. Lew nahm an, dass er die Gäste seiner Tochter begrüßen wollte, ehe er wieder in die Stadt fuhr.
Nur wenn er Olga rauchen sah, dann war die Hölle los!
Lew kam eine Idee. Mit raschen Schritten war er bei Olga und pflückte ihr mit einer schnellen Bewegung die Zigarette aus den Fingern.
»He!«, protestierte sie.
Gus Dewar musterte Lew stirnrunzelnd und fragte: »Was soll das denn?«
Lew drehte sich um und schob sich die Zigarette zwischen die Lippen. Einen Augenblick später sah Vyalov ihn. »Was tust du hier?«, fragte er gereizt. »Hol meinen Wagen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Lew.
»Und nimm den Glimmstängel aus dem Maul, wenn du mit mir redest.«
Lew drückte die Zigarette aus und ließ den Stummel in seiner Tasche verschwinden. »Tut mir leid, Mr. Vyalov, Sir. Ich habe mich vergessen.«
»Dass mir das nicht noch mal vorkommt.«
»Jawohl, Sir.«
»Jetzt mach, dass du wegkommst.«
Lew eilte davon, blickte jedoch über die Schulter: Die jungen Männer waren aufgesprungen, und Vyalov schüttelte allen großmütig die Hand. Olga schaute schuldbewusst drein und stellte ihre Freunde vor. Erleichtert, nicht erwischt worden zu sein, warf sie einen dankbaren Blick zu Lew.
Lew zwinkerte ihr zu und ging weiter.
In Ursula Dewars Salon gab es nur wenige dekorative Gegenstände, doch jeder war auf seine eigene Weise kostbar für sie: ein Marmorkopf von Elie Nadelman, eine Erstausgabe der Geneva Bible, eine einzelne Rose in einer Kristallvase und ein gerahmtes Foto ihres Großvaters, der eines der ersten Kaufhäuser in Amerika eröffnet hatte. Als Gus um achtzehn Uhr den Salon betrat, saß Ursula in einem seidenen Abendkleid auf der Couch und las einen neuen Roman mit dem Titel The Good Soldier .
»Wie ist das Buch?«, fragte Gus.
»Sehr gut. Seltsam, wenn man bedenkt, dass der Autor angeblich ein Riesenfeigling ist.«
Gus mixte ihr einen Drink. Er war nervös. In meinem Alter sollte ich keine Angst mehr vor meiner Mutter haben, dachte er. Aber sie konnte sehr verletzend sein.
Gus reichte ihr den Drink.
»Danke«, sagte sie. »Genießt du deinen Sommerurlaub?«
»Sehr.«
»Das freut mich. Ich hatte schon befürchtet, du könntest gar nicht schnell genug in das aufregende Washington und ins Weiße Haus zurückkehren.«
Genau damit hatte Gus tatsächlich gerechnet, aber die Ferien hatten ein paar unerwartete Freuden für ihn bereitgehalten. »Sobald der Präsident zurück ist, werde ich auch wieder zurückkehren. Aber bis dahin werde ich meinen Spaß haben.«
»Glaubst du, der Präsident wird Deutschland den Krieg erklären?«
»Ich hoffe nicht. Die Deutschen sind bereit, einen Rückzieher zu machen, aber wir Amerikaner sollen der Entente keine Waffen mehr liefern.«
»Und? Werden wir den Deutschen diesen Wunsch erfüllen?« Wie ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Buffalos war auch Ursula deutscher Abstammung, doch wenn sie »wir« sagte, meinte sie die USA .
»Natürlich nicht. Die Waffenlieferungen an Großbritannien bringen unseren Rüstungsfabriken ein Heidengeld ein.«
»Dann stecken wir also in einer Sackgasse.«
»Noch nicht. Wir tanzen noch umeinander herum. In der Zwischenzeit hat Italien sich auf die Seite der Entente geschlagen, als wollten sie uns daran erinnern, wie groß der Druck auf die neutralen Staaten ist.«
»Wird das irgendetwas bewirken?«
»Kaum.« Gus atmete tief durch. »Ich habe heute Nachmittag Tennis bei den Vyalovs gespielt«, sagte er. Seine Stimme klang nicht so beiläufig, wie er es sich erhofft hatte.
»Hast du gewonnen?«
»Ja. Wusstest du schon, dass die Vyalovs ein Prärie-Haus haben?«
»Typisch neureich.«
»Ich nehme an, wir waren auch mal ›neureich‹, oder nicht? Als dein Großvater sein Geschäft eröffnet hat.«
»Ich finde es ermüdend, wenn du wie ein Sozialist redest, Angus, auch wenn ich weiß,
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