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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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war stocksauer. Er war nicht der Meinung, dass die Vereinigten Staaten sich in den europäischen Krieg einmischen sollten. Das amerikanische Volk dachte genauso, auch Präsident Woodrow Wilson. Aber irgendwie rückte die Gefahr trotzdem immer näher.
    Die Krise kam im Mai, als ein deutsches U -Boot die Lusitania torpedierte, ein britisches Schiff, das einhundertdreiundsiebzig Tonnen Gewehre, Patronen und Granaten transportierte. Aber es hatte auch zweitausend Passagiere an Bord, darunter einhundertachtundzwanzig US -Bürger.
    Die Amerikaner waren dermaßen schockiert, als hätte es ein Attentat gegeben. Die Zeitungen überschlugen sich förmlich vor Entrüstung. »Die Leute verlangen das Unmögliche von Ihnen!«, sagte Gus aufgebracht zum Präsidenten im Oval Office. »Sie wollen, dass Sie sich den Deutschen gegenüber hart zeigen, aber nicht in den Krieg ziehen!«
    Wilson nickte zustimmend. Er schaute von seiner Schreibmaschine auf und sagte: »Es gibt keine Regel, die besagt, die öffentliche Meinung müsse logisch sein.«
    Gus fand die Ruhe seines Chefs bewundernswert, war aber auch ein wenig genervt. »Was wollen Sie tun?«
    Wilson lächelte und entblößte seine schlechten Zähne. »Haben Sie je gehört, Gus, Politik sei ein einfaches Geschäft?«
    Am Ende schickte Wilson eine strenge Note an die deutsche Regierung und verlangte, dass die Angriffe auf Zivilschiffe sofort aufhören müssten. Er und seine Berater hofften, die Deutschen würden diesem Ansinnen zustimmen. Sollten sie sich jedoch als störrisch erweisen, war eine Eskalation kaum zu verhindern. Es war ein gefährliches Spiel und dermaßen riskant, dass Gus bei Weitem nicht so ruhig bleiben konnte, wie Wilson es zu sein schien.
    Während die diplomatischen Telegramme über den Atlantik huschten, fuhr Wilson zu seinem Sommersitz in New Hampshire. Gus reiste nach Buffalo, wo er in der elterlichen Villa an der Delaware Avenue wohnte. Sein Vater besaß zwar ein Haus in Washington, aber dort lebte Gus in seiner eigenen Wohnung; in Buffalo hingegen genoss er den Luxus eines Hauses, das von seiner Mutter geführt wurde: die Silberschüssel mit Rosenblütenblättern auf dem Nachttisch, die warmen Brötchen zum Frühstück und die bei jedem Essen frischen weißen Tischdecken. Außerdem hing sein Anzug jeden Morgen frisch gewaschen und gebügelt im Schrank. Das Haus war bewusst schlicht möbliert im Biedermeierstil – eine hausbackene deutsche Kunstrichtung, die gerade eine Renaissance erlebte. Im Esszimmer hing an jeder Wand ein stilvolles Gemälde, und auf dem Tisch stand ein dreiarmiger Leuchter.
    Gus war den ersten Tag zu Hause, als seine Mutter beim Mittagessen zu ihm sagte: »Ich nehme an, du willst wieder in die Slums und dir Boxkämpfe anschauen.«
    »Am Boxen ist doch nichts Schlimmes«, erwiderte Gus. Boxen war seine große Leidenschaft. Als Achtzehnjähriger hatte er es sogar selbst einmal versucht. Seine langen Arme hatten ihm ein paar Siege beschert, doch ihm fehlte der Killerinstinkt.
    »Das ist schrecklich canaille «, sagte seine Mutter abschätzig, einen snobistischen Ausdruck benutzend, den sie in Europa aufgeschnappt hatte und der »Unterschicht« bedeutete.
    »Ich möchte mal an etwas anderes denken als an internationale Politik.«
    »Heute Nachmittag wird im Albright ein Vortrag über Tizian gehalten, sogar mit Bildern aus einer Laterna magica«, sagte seine Mutter. Die Albright Art Gallery, ein weißes klassizistisches Gebäude im Delaware Park, gehörte zu den bedeutendsten kulturellen Institutionen Buffalos.
    Gus war umgeben von Renaissancegemälden aufgewachsen; besonders die Porträts von Tizian mochte er. Aber er war nicht allzu sehr an diesem Vortrag interessiert. Andererseits war das genau die Art von Veranstaltung, auf der sich die wohlhabenden jungen Männer und Frauen der Stadt gerne zeigten, sodass die Möglichkeit bestand, dort alte Freundschaften zu erneuern.
    Das Albright befand sich ein Stück die Delaware hinauf und war mit dem Automobil in kurzer Zeit zu erreichen. Gus betrat die Säulenhalle und suchte sich einen Platz. Wie erwartet befanden sich mehrere Leute im Publikum, die er kannte.
    Gus ergatterte einen Platz neben einem umwerfend hübschen jungen Mädchen, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Er lächelte sie unverbindlich an, und sie sagte gut gelaunt: »Sie haben vergessen, wer ich bin, nicht wahr, Mr. Dewar?«
    Gus kam sich dumm vor. »Äh … Ich war eine längere Zeit nicht in der Stadt.«
    »Ich bin Olga

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