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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Rückzug der Feigheit vor dem Feind angeklagt zu werden. Man wusste nie, wozu Offiziere fähig waren.
    Schließlich nahmen die Deutschen ihm die Entscheidung ab. Suet Hewitt, der Posten auf der Hügelkuppe, beobachtete, wie sie von Osten anrückten. Billy sah eine größere Truppe – fünfzig bis hundert Mann – im Laufschritt durch das Tal näher kommen. Durch das massive Sperrfeuer beim »Trichterspringen« hatten Billys Leute ihre zweihundert Gewehrpatronen pro Mann fast verschossen. Ohne Nachschub an Munition aber konnten sie das Terrain, das sie eingenommen hatten, nicht verteidigen. Billy hatte nur noch die Patronen im Magazin seines Lee-Enfield-Gewehrs.
    Doch wenn sie sich zurückzogen, machte man es ihnen vielleicht zum Vorwurf.
    Schließlich rief Billy seine Handvoll Männer zusammen. »Also gut, Jungs«, sagte er. »Feuer frei, und wenn ihr keine Munition mehr habt, dann haut ab.«
    Billy feuerte seine letzten Kugeln auf die vorrückenden Deutschen, obwohl sie noch eine halbe Meile außer Schussweite waren; dann setzte er sich mit seinen Leuten ab. Durch die deutschen Gräben und über das Niemandsland eilten sie in Richtung der untergehenden Sonne, sprangen über die Toten hinweg und wichen den Sanitätern aus, die die Verwundeten einsammelten. Aber niemand schoss auf sie.
    Als Billy die britische Seite erreichte, sprang er in einen Graben, der vollgestopft war mit Toten, Verwundeten und erschöpften Überlebenden. Er sah Major Fitzherbert mit blutüberströmtem Gesicht auf einer Trage liegen, doch er hatte die Augen offen, lebte und atmete. Um den wär’s nicht schade gewesen, dachte Billy. Viele Männer saßen oder lagen im Schlamm und starrten ins Leere, benommen vom Schock und gelähmt von Erschöpfung. Die Offiziere versuchten den Abmarsch der Männer in die rückwärtigen Gräben und den Abtransport der Gefallenen zu organisieren. Ein Gefühl des Triumphs war nirgends zu spüren. Niemand ging nach vorn, und die Offiziere schauten nicht einmal aufs Schlachtfeld. Die große Offensive war gescheitert.
    Die verbliebenen Männer aus Billys Gruppe folgten ihm in den Graben.
    »Was für eine Pleite«, sagte Billy. »Was für eine verdammte Pleite.«

    Eine Woche später wurde Owen Bevin wegen Feigheit vor dem Feind und Desertion vor das Kriegsgericht gestellt.
    Er erhielt die Möglichkeit, sich vor Gericht von einem Offizier verteidigen zu lassen, der als »Freund des Angeklagten« fungieren sollte, aber Bevin lehnte ab. Da auf seine Vergehen die Todesstrafe stand, ging man davon aus, dass er auf »nicht schuldig« plädierte, doch Bevin sagte kein Wort zu seiner Verteidigung. Das Verfahren dauerte keine Stunde. Bevin wurde schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.
    Die Unterlagen wurden zur Überprüfung an das Große Hauptquartier geschickt. Der Oberkommandierende bestätigte die Todesstrafe. Zwei Wochen später stand Bevin mit einer schwarzen Augenbinde auf einer schlammigen französischen Viehweide vor dem Erschießungskommando.
    Einige der Männer mussten absichtlich danebengeschossen haben, denn nachdem die Salve abgefeuert war, lebte Bevin noch. Der Offizier, der das Erschießungskommando befehligte, trat näher, zog seinen Revolver und jagte dem Jungen aus nächster Nähe zwei Kugeln in die Stirn.
    Endlich starb Owen Bevin.

Kapitel 18
    Ende Juli 1916
    Seit Billy in Frankreich war, dachte Ethel viel über Leben und Tod nach. Sie wusste, dass sie ihn vielleicht niemals wiedersehen würde, und war froh, dass er seine Unschuld an Mildred verloren hatte. »Ich hab deinem Brüderchen erlaubt, bei mir ein ganz böser Junge zu sein«, hatte Mildred unbekümmert erzählt. »Süßer Bursche. Habt ihr davon noch mehr unten in Wales?« Doch Ethel hatte den Eindruck, dass Mildreds Gefühle für Billy nicht so oberflächlich waren, wie sie vorgab, denn Mildreds kleine Töchter, Enid und Lillian, baten seit Neuestem bei ihren Abendgebeten, der liebe Gott möge über Onkel Billy in Frankreich wachen und ihn gesund nach Hause bringen.
    Ein paar Tage später bekam Lloyd eine schlimme Lungenentzündung. Von Angst und Verzweiflung geplagt, wiegte Ethel ihn in den Armen, während er nach Luft rang. Sie fürchtete um sein Leben, und dies umso mehr, als ihre Eltern Lloyd nie gesehen hatten. Kaum ging es ihm besser, beschloss Ethel, mit ihm nach Aberowen zu fahren.
    Sie kehrte genau zwei Jahre nach ihrer Flucht aus dem elterlichen Haus zurück.
    Es regnete in Aberowen. Die Stadt hatte sich kaum verändert, kam Ethel

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