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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Sie sahen eine Polizeiuniform auf dem Boden und eine Militäruniform im Turm, und allein das verriet ihnen, was geschehen war. Grigori sah, wie die Leute aus ihren Verstecken kamen, zu ihm hinaufschauten, riefen und applaudierten. Er war ein Held.
    Grigori war unwohl. Im Krieg hatte er viele Menschen getötet, und es machte ihm nichts mehr aus, einen Gegner zu beseitigen; dennoch fiel es ihm schwer, einen Tod zu feiern, auch wenn Koslow ihn zweifellos verdient hatte. Grigori blieb noch eine Zeit lang am Fenster stehen und ließ die Leute applaudieren, auch wenn es ihn seltsam nervös machte. Dann duckte er sich wieder in den Turm und stieg die Wendeltreppe hinunter.
    Auf dem Weg nach unten nahm er das Gewehr und seinen Revolver mit. Als er unten ins Kircheninnere trat, wartete Vater Michail auf ihn. Der Pope schaute ihn ängstlich an. Grigori richtete den Revolver auf ihn. »Ich sollte dich erschießen«, sagte er. »Der Heckenschütze, den du aufs Dach gelassen hast, hat zwei meiner Freunde getötet und mindestens noch drei weitere Leute. Du hast das zugelassen! Du bist ein mörderischer Teufel!«
    Der Pope riss entsetzt die Augen auf. Dass jemand ihn einen Teufel schimpfte, verschlug ihm die Sprache. Doch Grigori brachte es nicht über sich, einen unbewaffneten Zivilisten zu erschießen, und so verzog er nur angewidert das Gesicht und ging hinaus.
    Die Männer seines Zuges warteten auf ihn und grölten, als Grigori hinaus ins Sonnenlicht trat. Er konnte sie nicht davon abhalten, ihn auf die Schultern zu heben und wie einen Triumphator die Straße hinunterzutragen.
    Von seinem erhöhten Aussichtspunkt aus sah Grigori, dass die Atmosphäre sich verändert hatte. Die Leute waren jetzt noch betrunkener, und in fast jedem Hauseingang lagen Wodkaleichen. Erstaunt sah er, dass Männer und Frauen in den Nebenstraßen mehr taten, als sich nur zu küssen: Es waren widerliche Szenen trunkener Wollust. Und alle waren bewaffnet. Offensichtlich waren auch andere Arsenale, vielleicht sogar Waffenfabriken geplündert worden. An jeder Kreuzung oder Straßeneinmündung waren Kraftwagen ineinandergefahren; Sanitäter und Ärzte kümmerten sich um die Verletzten. Kinder und Erwachsene waren auf den Straßen. Besonders die Halbwüchsigen hatten ihren Spaß: Sie stahlen Essen, rauchten Zigaretten und spielten in stehen gelassenen Automobilen.
    Grigori sah eine Pelzhandlung, die soeben mit professionell anmutender Effizienz geplündert wurde. Er entdeckte Trofim, einen ehemaligen Kumpan von Lew, der mit einem Arm voller Pelze aus dem Laden kam und sie auf einen Handkarren lud. Ein anderer der ehemaligen Freunde Lews stand Schmiere: der korrupte Polizist Fjodor, der sich einen Bauernmantel über die Uniform geworfen hatte. Die Verbrecher der Stadt nutzten die Revolution auf ihre Weise.
    Nach einiger Zeit setzten Grigoris Männer ihn ab. Allmählich wurde es dunkel, und auf den Straßen brannten Freudenfeuer. Menschen versammelten sich um sie, tranken und grölten Lieder.
    Angewidert beobachtete Grigori, wie ein Junge von ungefähr zehn Jahren einem volltrunkenen Soldaten die Pistole wegnahm. Es war eine deutsche Luger, eine Beutewaffe. Der Junge hielt sie mit beiden Händen, grinste und richtete sie auf den Mann am Boden. Grigori ging auf den Jungen zu, um ihm die Waffe abzunehmen, doch da drückte das Kind schon ab und jagte dem Betrunkenen eine Kugel in die Brust. Entsetzt ließ der Junge die Pistole fallen.
    Bevor Grigori auf den Vorfall reagieren konnte, hörte er lautes Stöhnen und fuhr herum. In der Tür eines geschlossenen Hutladens hatte ein Pärchen in aller Öffentlichkeit Geschlechtsverkehr. Die Frau stand mit dem Rücken an der Wand, hatte ihren Rock bis über die Hüfte gehoben und die Beine gespreizt. Der Mann, der die Uniform eines Korporals trug, stand mit gekrümmten Knien zwischen ihren Beinen, die Hose offen, und stieß zu. Grigoris Zug stand um die beiden herum und feuerte sie an.
    Der Mann schien zum Höhepunkt zu kommen. Rasch zog er sich zurück, wandte sich ab und schloss die Hose, während die Frau ihren Rock herunterließ. Ein Soldat mit Namen Igor sagte: »He, warte! Jetzt bin ich dran!« Er zog der Frau den Rock hoch und entblößte ihre weißen Beine.
    Wieder jubelten die anderen.
    »Nein!«, sagte die Frau und versuchte, ihn von sich wegzustoßen. Sie war betrunken, aber nicht hilflos.
    Igor war ein kleiner, drahtiger Kerl, der unerwartet kräftig war. Er stieß die Frau gegen die Wand und packte ihre

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