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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Handgelenke. »Komm schon«, keuchte er. »Ein Soldat ist so gut wie der andere.«
    Der Mann, der soeben mit der Frau Geschlechtsverkehr gehabt hatte, rief: »He, du Arsch, lass sie in Ruhe!«
    »Du hattest schon deinen Spaß. Jetzt bin ich dran«, erwiderte Igor und knöpfte sich die Hose auf.
    Grigori war angewidert. »Aufhören!«, brüllte er.
    Igor starrte ihn herausfordernd an. »Gibst du mir diesen Befehl als Sergeant, Grigori Sergejewitsch?«
    »Nicht als Sergeant, sondern als Mensch!«, erwiderte Grigori. »Komm schon, Igor. Du siehst doch, dass sie dich nicht will. Es gibt genug andere Frauen.«
    »Ich will aber die hier!« Igor schaute sich um. »Wir alle wollen nur die hier. Stimmt’s, Leute?«
    Grigori trat einen Schritt vor und stemmte die Hände in die Hüften. »Seid ihr Männer oder Hunde?«, rief er. »Die Frau hat Nein gesagt!« Er legte den Arm um den wutschnaubenden Igor. »Sag mir, Genosse: Wo kann man hier was zu trinken bekommen?«
    Igor grinste. Die Soldaten grölten, und die Frau schlüpfte davon.
    Grigori sagte: »Da ist ein kleines Hotel drüben auf der anderen Straßenseite. Sollen wir den Besitzer mal fragen, ob er Wodka hat?«
    Wieder jubelten die Männer, und alle drängten in das Hotel.
    In der Eingangshalle servierte ein verängstigter Hotelier Freibier. Grigori war es recht: Mit Bier brauchte es länger, sich zu betrinken.
    Grigori nahm sich ein Glas und trank einen Schluck. Seine anfängliche Freude war völlig verflogen. Er fühlte sich, als wäre er nach einem rauschhaften Hochgefühl plötzlich wieder nüchtern geworden. Was mit der Frau in dem Hauseingang geschehen war, hatte ihn angeekelt. Und der Vorfall mit dem kleinen Jungen, der den Betrunkenen erschossen hatte, war geradezu albtraumhaft gewesen. Revolution bedeutete nicht einfach nur, die Ketten abzuschütteln. Das Volk zu bewaffnen war gefährlich, und betrunkene Soldaten waren unberechenbar. Selbst die scheinbar harmlose Freiheit, im Überschwang der Freude des Sieges jemanden zu küssen, hatte binnen weniger Stunden beinahe dazu geführt, dass Grigoris gesamter Zug eine Frau vergewaltigt hätte.
    So konnte es nicht weitergehen.
    Die Ordnung musste wiederhergestellt werden. Natürlich wollte Grigori die alten Zeiten nicht wieder zurück. Der Zar hatte ihnen Hunger und Armut beschert, eine brutale Polizei und Soldaten ohne Stiefel. Aber es musste doch auch Freiheit ohne Chaos geben.
    Grigori murmelte eine Entschuldigung, er müsse pinkeln, und stahl sich von seinen Männern fort. Er ging auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, über den Newski-Prospekt zurück. Das Volk hatte die heutige Schlacht gewonnen. Die Polizei des Zaren und die Offiziere waren besiegt worden. Doch wenn dies nur zu Exzessen und Gewaltorgien führte, würde es nicht lange dauern, bis die Leute wieder nach dem alten Regime riefen.
    Wer hatte denn nun das Sagen? Die Duma hatte dem Zaren getrotzt und sich geweigert, auseinanderzugehen – jedenfalls nach dem zu urteilen, was Kerenski gestern Grigori erzählt hatte. Das Parlament war zwar so gut wie machtlos, aber es repräsentierte die Demokratie. Grigori beschloss, sich zum Taurischen Palast zu begeben, um den neuesten Stand der Dinge zu erfahren.
    Er ging nach Norden zum Fluss und dann in Richtung Osten. Als er den Sitz der Duma erreichte, war es Nacht. Die Fassade des Palasts zierten Dutzende von Fenstern, und in jedem brannte Licht. Mehrere Tausend Menschen hatten die gleiche Idee wie Grigori gehabt; der große Vorplatz war voller Soldaten und Arbeiter.
    Ein Mann mit einem Sprechrohr machte eine Ankündigung. Er wiederholte sie immer wieder. Grigori arbeitete sich nach vorne, um den Mann hören zu können.
    »Die Arbeiterdeputierten des Kriegsindustriekomitees sind aus dem Gefängnis Kresty entlassen worden«, rief der Mann. »Gemeinsam mit anderen Genossen haben sie ein Provisorisches Exekutivkomitee des Sowjets der Arbeiterdeputierten gebildet.«
    Grigori hörte es mit Zufriedenheit. Ein Sowjet war ein Rat von Volksrepräsentanten. Im Jahre 1905 hatte es ebenfalls einen Sowjet gegeben. Grigori war damals sechzehn Jahre alt gewesen, aber er wusste, dass die Abgeordneten des Sowjets von Arbeitern gewählt worden waren und Streiks organisiert hatten. Der Sowjet hatte damals einen charismatischen Führer gehabt, Lew Davidowitsch Trotzki, der erst in die Verbannung gegangen war und dann ins Exil, wo er sich bis heute befand, soviel Grigori bekannt war.
    »Das alles wird in einer Sonderausgabe

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