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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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einer neuen Zeitung, der Iswestija , offiziell verkündet. Das Exekutivkomitee hat eine Kommission zur Nahrungsmittelversorgung gebildet, um sicherzustellen, dass sämtliche Arbeiter und Soldaten ausreichend ernährt werden. Gleichzeitig wird eine Militärkommission die Revolution verteidigen.«
    Von der Duma kein Wort. Die Menge jubelte, doch Grigori fragte sich, ob die Soldaten die Befehle dieser selbst ernannten Militärkommission befolgen würden. Wo blieb die Demokratie?
    Seine Frage wurde mit dem letzten Satz der Ankündigung beantwortet: »Das Komitee appelliert an die Arbeiter und Soldaten, schnellstmöglich Sowjetdeputierte zu wählen und diese in den Taurischen Palast zu schicken, um sich an der neuen Revolutionsregierung zu beteiligen!«
    Genau das hatte Grigori hören wollen. Die neue Revolutionsregierung … Ein Sowjet der Arbeiter und Soldaten. Nun würde es Veränderungen ohne Chaos geben, ohne Blut und Tränen! Voller Begeisterung verließ Grigori den Vorplatz und machte sich auf den Weg zurück in die Kaserne. Früher oder später würden die Männer wieder in ihre Unterkünfte kommen. Grigori konnte es kaum erwarten, ihnen die Neuigkeiten mitzuteilen.
    Zum ersten Mal im Leben würden sie alle zur Wahl gehen.

    Am Morgen des nächsten Tages versammelte sich das 1. Maschinengewehrregiment auf dem Exerzierplatz, um seinen Vertreter im Petrograder Sowjet zu wählen. Isaak schlug Sergeant Grigori Sergejewitsch Peschkow vor.
    Er wurde ohne Gegenkandidaten gewählt.
    Grigori freute sich. Er kannte das Leben der Soldaten und Arbeiter, und er würde den Ölgeruch wahren Lebens in die Korridore der Macht bringen. Nie würde er seine Wurzeln vergessen, nie einen Zylinder tragen. Nun hatte er wirklich die Gelegenheit, ein besseres Leben für Katherina und Wladimir zu schaffen.
    Rasch ging er über die Sampsonjewski-Brücke, diesmal allein, und hielt auf den Taurischen Palast zu. Sein wichtigstes Ziel war ganz profan: Brot. Katherina, Wladimir und die restlichen zweieinhalb Millionen Einwohner von Petrograd mussten essen. Doch nun, da Grigori Verantwortung übernommen hatte – zumindest glaubte er das –, schüchterte es ihn immer mehr ein. Die Bauern und Müller auf dem Land mussten den Bäckern in Petrograd schnellstens mehr Mehl schicken; das aber würden sie nicht tun, solange sie nicht dafür bezahlt wurden. Wie sollte der Sowjet das Geld dafür aufbringen? Allmählich erschien es Grigori, als würden mit dem Sturz der Regierung die Probleme erst richtig anfangen.
    Der Palast bestand aus einem langen Mittelstück und zwei Flügeln. Grigori fand heraus, dass sowohl die Duma als auch der Sowjet tagten. Passenderweise war die Duma – das alte Mittelstandsparlament – im rechten Flügel untergebracht, der Sowjet im linken. Aber wer besaß die Macht? Niemand konnte es sagen. Also muss diese Frage als Erstes geklärt werden, sagte sich Grigori ungeduldig, bevor man sich den handfesten Problemen zuwenden kann.
    Auf den Stufen des Palastes sah Grigori eine spindeldürre Gestalt mit buschigem schwarzem Haar: Konstantin. Erschrocken fiel Grigori auf, dass er noch nicht einmal versucht hatte, Konstantin vom Tod seiner Mutter Warja zu berichten; aber er sah sofort, dass Konstantin es bereits wusste: Neben seiner roten Armbinde trug er ein schwarzes Band um den Hut.
    Grigori umarmte ihn. »Ich habe es gesehen«, sagte er.
    »Hast du den Heckenschützen der Polizei getötet?«
    »Ja.«
    »Danke, Grigori! Aber die wirkliche Rache wird die Revolution sein.«
    Konstantin war einer von zwei gewählten Deputierten der Putilow-Werke. Im Laufe des Nachmittags trafen immer mehr Abgeordnete ein, bis sich am frühen Abend mehr als dreitausend im riesigen Katherinensaal drängten. Fast alle waren Soldaten. Soldaten waren in Regimenter, Kompanien und Züge organisiert; wahrscheinlich, vermutete Grigori, fiel es ihnen deshalb leichter, Wahlen zu organisieren, als den Fabrikarbeitern, von denen viele überdies von ihren Arbeitsplätzen ausgesperrt waren. Einige Deputierte waren nur von ein paar Dutzend Leuten gewählt worden, andere von Tausenden. Demokratie war nicht so einfach, wie es manchmal den Eindruck machte.
    Jemand schlug vor, den Rat offiziell in »Petrograder Sowjet der Arbeiter und Soldaten« umzubenennen, und der Vorschlag wurde mit donnerndem Applaus angenommen. Verfahrensregeln schien es nicht zu geben: keine offiziellen Anträge, keine Abstimmungen. Die Leute standen einfach auf und sprachen, oft mehr als einer zur

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