Sturz der Titanen
zunächst mit ihm und Monika spazieren gegangen, hatte sich dann aber entschuldigt und die beiden allein gelassen – noch so eine Sache, über die Walters Mutter missbilligend die Nase gerümpft hätte, zumindest in der Theorie.
Monika besaß einen Hund mit Namen Pierre, einen Pudel mit langen Beinen, ein sehr elegantes Tier. Pierre hatte lockiges rostbraunes Fell und hellbraune Augen, und Walter entdeckte immer wieder eine Ähnlichkeit zwischen dem Tier und Monika.
Walter gefiel, wie Monika mit dem Hund umging. Sie tätschelte ihn nicht, stopfte ihn nicht mit Essensresten voll und redete nicht mit Babystimme zu ihm, wie andere Mädchen es taten. Sie ließ ihn einfach neben sich herlaufen und warf gelegentlich einen Tennisball, den er apportieren konnte.
»Das mit den Russen ist enttäuschend«, bemerkte sie.
Walter nickte. Die Regierung des Fürsten Lwow hatte verkündet, den Kampf fortsetzen zu wollen. Die Ostfront würde also nicht entlastet werden; folglich kamen keine Verstärkungen nach Frankreich, und der Krieg würde sich weiter in die Länge ziehen. »Unsere einzige Hoffnung ist, dass Lwows Regierung stürzt und die Friedensfraktion die Herrschaft übernimmt«, sagte Walter.
»Ist das wahrscheinlich?«
»Schwer zu sagen. Die linken Revolutionäre verlangen noch immer Brot, Frieden und Land. Die Regierung hat eine demokratische Wahl zu einer Verfassunggebenden Versammlung versprochen – aber wer wird sie gewinnen?« Walter hob einen Zweig auf und warf ihn für Pierre. Der Hund sprang dem Stück Holz hinterher und brachte es stolz wieder zurück. Walter bückte sich, um dem Tier den Kopf zu tätscheln. Als er sich wieder aufrichtete, war Monika ganz nahe an ihn herangetreten.
»Ich mag dich, Walter«, sagte sie und schaute ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an. »Ich habe das Gefühl, dass uns die Gesprächsthemen niemals ausgehen.«
Walter empfand genauso, und er wusste, dass sie ihn gewähren ließe, würde er jetzt versuchen, sie zu küssen.
Er trat einen Schritt zurück. »Ich mag dich auch«, sagte er. »Und ich mag deinen Hund.« Er lachte, um ihr zu zeigen, dass es als Scherz gemeint war.
Dennoch sah er, dass sie verletzt war. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich von ihm ab. Sie war so kühn gewesen, wie es einer wohlerzogenen Frau nur möglich war, und Walter hatte ihr eine Abfuhr erteilt.
Sie gingen weiter. Nach langem Schweigen sagte Monika: »Ich würde zu gerne wissen, was dein Geheimnis ist.«
Meine Güte, dachte Walter, sie ist wirklich clever. »Ich habe keine Geheimnisse«, log er. »Du?«
»Keine, die es wert wären, erzählt zu werden.« Sie wischte ihm irgendetwas von der Schulter. »Eine Biene«, sagte sie.
»Es ist noch zu früh für Bienen.«
»Vielleicht bekommen wir ja einen frühen Sommer.«
»So warm ist es nun auch wieder nicht.«
Monika tat so, als würde sie zittern. »Du hast recht. Es ist kalt. Würdest du mir eine Stola bringen? Wenn du in die Küche gehst und das Mädchen fragst, holt sie eine.«
»Natürlich.« Es war zwar kein bisschen kalt, doch ein wohlerzogener Herr wies solch eine Bitte nie ab, egal wie launisch sie erscheinen mochte. Monika wollte offensichtlich ein Minütchen für sich allein haben. Walter schlenderte zum Haus zurück. Er musste Monikas Avancen zurückweisen; aber es tat ihm leid, ihr wehzutun. Sie passten wirklich gut zusammen – da hatten ihre Mütter recht –, und Monika konnte offenbar nicht verstehen, warum Walter sie immer wieder zurückwies.
Walter betrat das Haus und stieg in den Keller hinunter, wo er ein älteres Hausmädchen in schwarzem Kleid und mit Rüschenhaube antraf. Sie zog los, ihm eine Stola zu holen.
Walter wartete in der Eingangshalle. Das Haus war im modernen Jugendstil dekoriert, der mit seinen eher gedeckten Farben einen optischen Gegensatz zum üppigen Barock in Walters Elternhaus bildete. Die von Säulen gesäumte Eingangshalle bestand fast gänzlich aus grauem Marmor, und den Boden schützte ein hellbrauner Teppich.
Walter hatte das Gefühl, als wäre Maud eine Million Kilometer von ihm entfernt auf einem anderen Planeten. In gewisser Hinsicht war sie das auch, denn die Welt würde nie mehr dieselbe sein wie vor dem Krieg. Walter hatte seine Frau seit fast drei Jahren weder gesehen noch von ihr gehört. Vielleicht sah er sie nie wieder.
Obwohl sie niemals aus seinen Gedanken verschwunden war – nie würde er die Leidenschaft vergessen, die sie geteilt hatten –, musste er sich zu seiner
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