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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und Lew und Vyalov sah, starrte er sie herausfordernd an, als wollte er sie fragen: Sucht ihr Ärger?
    Vyalov rief über den Maschinenlärm hinweg: »Komm mal her, Hall.«
    Der Mann ließ sich Zeit. Er legte sein Werkzeug in die Kiste zurück und wischte sich die Hände an einem Lappen ab, ehe er herüberkam.
    Vyalov sagte: »Das ist dein neuer Boss, Lew Peschkow.«
    »Hallo«, sagte Hall zu Lew und drehte sich dann zu Vyalov um. »Peter Fisher hat heute Morgen einen Stahlsplitter ins Gesicht bekommen. Er musste ins Krankenhaus.«
    »Tut mir leid«, sagte Vyalov. »Jobs in der Metallindustrie sind nun mal gefährlich. Aber es wird ja niemand gezwungen, hier zu arbeiten.«
    »Der Splitter hat sein Auge nur knapp verfehlt!«, sagte Hall entrüstet. »Wir brauchen Schutzbrillen.«
    »Seit mir die Fabrik gehört, hat noch niemand ein Auge verloren.«
    Hall gehörte offensichtlich zu den aufbrausenden Typen, denn er stieß hervor: »Sollen wir warten, bis einer von uns blind ist, ehe wir Brillen bekommen?«
    »Gute Idee. Dann weiß ich wenigstens, dass ihr sie wirklich braucht.«
    »Auch ein Mann, der noch nie ausgeraubt wurde, baut ein Schloss in seine Tür!«
    »Aber das bezahlt er selbst.«
    Hall nickte, als hätte er nichts anderes erwartet, und kehrte mit einem Seufzer an seine Maschine zurück.
    »Die wollen immer irgendwas«, sagte Vyalov zu Lew.
    Lew kam zu dem Schluss, dass Vyalov ihn als harten Hund einsetzen wollte. Na, wie man das machte, wusste er. In Petrograd wurden alle Fabriken so geführt.
    Sie verließen das Werk und fuhren die Delaware Avenue hinauf. Lew vermutete, dass sie zum Mittagessen nach Hause fuhren. Vyalov wäre nie auf den Gedanken gekommen, Lew zu fragen, ob ihm das recht war: Vyalov entschied immer für alle anderen mit.
    Im Haus zog Lew die Schuhe aus, die schmutzig waren von dem Kurzbesuch in der Fabrik, und tauschte sie gegen ein Paar bestickte Slipper, die Olga ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Dann ging er ins Kinderzimmer. Olgas Mutter Lena war bei Daisy.
    »Schau mal, Daisy«, sagte Lena, »da ist dein Papa!«
    Lews Tochter war inzwischen vierzehn Monate alt und machte ihre ersten Schritte. Sie wankte durchs Zimmer auf Lew zu, grinste begeistert, fiel hin und begann zu weinen. Lew hob sie hoch und küsste sie. Früher hatte er sich nicht im Mindesten für Kinder oder Babys interessiert, aber Daisy hatte sein Herz im Sturm erobert. Wenn sie bockig war und nicht ins Bett wollte und wenn niemand sie beruhigen konnte, nahm er sie auf die Arme, flüsterte ihr Koseworte zu und sang Verse aus russischen Volksliedern für sie, bis ihr die Augen zufielen und sie in seinen Armen schlief.
    Lena sagte: »Sie sieht genau wie ihr hübscher Daddy aus.«
    Lew fand, dass Daisy bloß wie ein Baby aussah, aber er widersprach seiner Schwiegermutter nicht. Lena Vyalov vergötterte ihn. Sie flirtete mit ihm, berührte ihn häufig und küsste ihn bei jeder Gelegenheit. Sie hatte sich in ihn verliebt, auch wenn sie selbst ohne Zweifel glaubte, ihm lediglich familiäre Zuneigung entgegenzubringen.
    Auf der anderen Seite des Zimmers saß ein junges russisches Mädchen mit Namen Polina. Sie war das Kindermädchen, aber nur auf dem Papier: Olga und Lena kümmerten sich die meiste Zeit selbst um Daisy. Nun reichte Lew Polina das Baby. Dabei schaute Polina ihm tief in die Augen. Sie war eine klassische russische Schönheit mit blondem Haar und hohen Wangenknochen. Kurz fragte sich Lew, ob er mit ihr wohl eine Affäre haben könnte und damit durchkommen würde. Polina hatte ihr eigenes, wenn auch winziges Schlafzimmer. Konnte er sich dort hineinschleichen, ohne dass jemand es bemerkte? Es wäre das Risiko wahrscheinlich wert. In ihrem Blick loderte Leidenschaft.
    Olga kam ins Zimmer, und sofort fühlte Lew sich schuldig. »Was für eine Überraschung!«, sagte sie, als sie ihn sah. »Ich habe dich gar nicht vor drei Uhr erwartet.«
    »Dein Vater hat mich versetzt«, erklärte Lew säuerlich. »Ich leite jetzt die Gießerei.«
    »Aber warum? Ich dachte, du würdest im Club gut zurechtkommen.«
    »Ich weiß nicht warum«, log Lew.
    »Vielleicht will er vermeiden, dass du eingezogen wirst«, sagte Olga. Präsident Wilson hatte Deutschland den Krieg erklärt und würde bald die Wehrpflicht einführen. »Man wird die Fabrik als kriegswichtig einstufen. Daddy will nicht, dass du zur Armee gehst, das ist der Grund.«
    Lew wusste aus den Zeitungen, dass örtliche Komitees die Rekrutierung übernahmen. Dass Vyalov einen

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