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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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was soll ich dann tun?«
    »Mir gehört eine Gießerei unten am Hafen. Da arbeiten keine Frauen. Der Chef liegt im Krankenhaus. Du wirst den Laden beaufsichtigen.«
    »Eine Gießerei?«, hakte Lew ungläubig nach. »Ich?«
    »Du hast doch in den Putilow-Werken gearbeitet.«
    »Im Pferdestall!«
    »Und in einem Kohlenbergwerk.«
    »Auch da mit Pferden.«
    »Dann kennst du ja die Umgebung.«
    »Ja, und ich hab sie gehasst!«
    »Habe ich dich gefragt, ob es dir gefällt? Himmel, ich hab dich gerade mit heruntergelassener Hose erwischt. Du kannst von Glück sagen, dass ich mir nichts Schlimmeres für dich ausgedacht habe.«
    Lew hielt den Mund.
    »Geh raus, und steig in den verdammten Wagen«, befahl Vyalov.
    Lew verließ die Garderobe und ging durch den Club. Vyalov folgte ihm. Lew konnte kaum glauben, dass er nie mehr hierher zurückkommen sollte. Der Barmann und die Garderobiere starrten ihn an; sie spürten, dass irgendetwas nicht stimmte. Vyalov sagte zum Barkeeper: »Du hast heute Nacht das Sagen hier, Iwan.«
    »In Ordnung, Boss.«
    Vyalovs Packard Twin Six wartete am Bürgersteig. Ein neuer Chauffeur stand stolz daneben, ein Junge aus Kiew. Der Portier öffnete Lew die Tür zum Fond. Wenigstens fahre ich hinten, dachte Lew.
    Er lebte wie ein russischer Adliger, wenn nicht sogar besser, und das gab ihm auch jetzt ein wenig Trost. Er und Olga bewohnten einen ganzen Flügel des riesigen Prärie-Hauses. Reiche Amerikaner beschäftigten zwar nicht so viele Diener wie Russen, aber ihre Häuser waren sauberer und heller als die Paläste in Petrograd. Sie hatten moderne Badezimmer, Kühlschränke, Staubsauger und eine Zentralheizung. Das Essen war gut. Vyalov teilte die Vorliebe der russischen Aristokratie für Champagner nicht, aber auf der Anrichte stand stets Whisky. Und Lew hatte sechs Anzüge.
    Wann immer er sich von seinem gewalttätigen Schwiegervater unterdrückt fühlte, erinnerte er sich an seine Tage in Petrograd: an das kleine Zimmer, das er sich mit Grigori geteilt hatte, an den billigen Wodka, das derbe Schwarzbrot und die fade Kohlsuppe. Er wusste noch, wie er sich ausgemalt hatte, was für ein Luxus es wäre, mit der Straßenbahn oder dem Omnibus zu fahren, anstatt überallhin zu Fuß gehen zu müssen. Er streckte die Beine im Fond von Vyalovs Limousine aus, schaute auf seine seidenen Socken und die blank geputzten schwarzen Schuhe und sagte sich, dass er eigentlich dankbar sein sollte.
    Vyalov stieg nach ihm ein; dann fuhren sie zum Ufer. Vyalovs Gießerei erwies sich als eine kleinere Version der Putilow-Werke: die gleichen heruntergekommenen Gebäude mit eingeworfenen Fenstern, die gleichen hohen Schornsteine, der gleiche schwarze Rauch und die gleichen Arbeiter mit verdreckten Gesichtern. Lew verließ der Mut.
    »Die Fabrik nennt sich ›Buffalo Metal Works‹, aber hier wurde nur eines produziert«, erklärte Vyalov. »Ventilatoren.« Sie fuhren durch die schmale Toreinfahrt. »Vor dem Krieg habe ich mit diesem Laden hier Geld verloren. Nachdem ich ihn gekauft hatte, musste ich den Arbeitern erst mal den Lohn kürzen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Aber in letzter Zeit gehen die Geschäfte immer besser. Unsere Auftragsliste ist lang. Inzwischen bauen wir Flugzeugpropeller, Schiffsschrauben und Kühlaggregate für Panzerwagen. Jetzt wollen die Arbeiter mehr Lohn, aber ich muss erst ein bisschen von dem zurückbekommen, was ich investiert habe, bevor ich wieder Geld weggeben kann.«
    Lew fürchtete sich davor, hier zu arbeiten, doch seine Angst vor Vyalov war noch größer. Er durfte auf keinen Fall scheitern. Lew beschloss, nicht derjenige zu sein, der den Arbeitern höheren Lohn versprach.
    Vyalov führte ihn durch das Werk. Lew wünschte sich, etwas anderes zu tragen als seinen Smoking. Aber das Innere der Fabrik ähnelte ganz und gar nicht den Putilow-Werken. Hier war es deutlich sauberer, und es liefen auch keine Kinder herum. Abgesehen von den Öfen wurde alles mit Strom betrieben. Während in Russland zwölf Mann einen Dampfkessel mit einem Flaschenzug hoben, reichte hier ein elektrisch betriebener Kran, um eine tonnenschwere Schiffsschraube in die Höhe zu befördern.
    Vyalov deutete auf einen kahlköpfigen Mann, der Kragen und Krawatte unter seinem Overall trug. »Das ist dein Feind«, erklärte er. »Brian Hall. Der hiesige Gewerkschaftsboss.«
    Lew musterte Hall. Der Mann stellte soeben eine riesige Presse ein. Er strahlte etwas Kämpferisches aus. Und tatsächlich: Als er den Blick hob

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