Sturz der Titanen
aber ich habe noch nichts von ihm gehört.«
»Ich kenne Dewar. Er ist naiv. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
Lew stimmte ihm zu. Er hatte Gus Dewar 1914 in Petrograd einen Dollar abgeknüpft, und vergangenes Jahr hatte er ihm genauso lässig die Verlobte geklaut. »Ich wollte mit Ihnen über den Streik sprechen«, sagte er und setzte sich Hoyle gegenüber in einen Sessel.
»Der Advertiser hat die Streikenden bereits als unamerikanische Sozialisten und Revolutionäre verurteilt«, sagte Hoyle. »Oder können wir sonst noch etwas tun?«
»Ja. Stellen Sie diese Leute als feindliche Agenten bloß«, antwortete Lew. »Sie halten die Produktion von Fahrzeugen auf, die unsere Jungs in Europa brauchen werden. Gleichzeitig sind die Arbeiter von der Armee freigestellt.«
»Das ist ein interessanter Punkt.« Hoyle runzelte die Stirn. »Aber wir wissen noch nicht, wie genau man die Wehrpflicht umsetzen wird.«
»Kriegswichtige Betriebe werden mit Sicherheit davon befreit.«
»Das stimmt.«
»Trotzdem verlangen die Arbeiter mehr Geld. Viele Leute würden sich mit weniger zufriedengeben, wenn sie der Armee auf diese Weise aus dem Weg gehen könnten.«
Hoyle zog ein Notizbuch aus seinem Jackett und begann zu schreiben. »Weniger Geld für einen Job, der einem die Wehrpflicht erspart …«, murmelte er.
»Vielleicht wollen Sie ja fragen, auf wessen Seite diese Leute stehen.«
»Das hört sich nach einer Schlagzeile an.«
Lew war freudig überrascht. Das war ja einfach gewesen!
Hoyle schaute von seinem Notizbuch auf. »Ich nehme an, Mister V weiß von unserem Gespräch?«
Mit dieser Frage hatte Lew nicht gerechnet. Er grinste, um seine Verwirrung zu verbergen. Wenn er verneinte, das wusste Lew, würde Hoyle die ganze Sache fallen lassen. »Ja, natürlich«, log er. »Tatsächlich war es sogar seine Idee.«
Vyalov bat Gus, sich im Jachtclub mit ihm zu treffen. Brian Hall hingegen schlug eine Konferenz im Gewerkschaftsbüro vor. Beide wollten mit Gus auf ihrem eigenen Territorium reden, wo sie sich sicher fühlten. Als Kompromiss mietete Gus ein Konferenzzimmer im Statler Hotel.
Lew Peschkow hatte die Streikenden als Wehrdienstverweigerer attackiert, und der Advertiser hatte seine Kommentare unter der Schlagzeile AUF WESSEN SEITE STEHEN DIESE LEUTE? abgedruckt. Nach einem Blick in die Zeitung hatte Gus das Entsetzen gepackt. Durch solch aggressives Gerede würde der Konflikt nur eskalieren. Aber Lews Bemühungen hatten sich als Schuss nach hinten erwiesen. Die Zeitungen vom heutigen Tag berichteten von einem wahren Proteststurm der Arbeiter in anderen kriegswichtigen Betrieben. Der Vorschlag, sie sollten aufgrund ihres Status auf Lohn verzichten, entfachte ihren Zorn, und dass man sie als Feiglinge beschimpfte, machte sie umso wütender. Lews Ungeschick gab Gus neuen Mut, doch er wusste, dass Vyalov sein wirklicher Feind war, und das wiederum machte ihn nervös.
Gus legte sämtliche Zeitungen auf den Tisch im Konferenzzimmer. Obenauf legte er ein populäres Blatt, das in seiner Schlagzeile fragte: UND? WIRST DU DICH FREIWILLIG MELDEN, LEW?
Gus hatte Brian Hall eine Viertelstunde früher einbestellt als Vyalov. Der Gewerkschaftsführer erschien auf die Sekunde genau. Er trug einen modischen Anzug und einen grauen Filzhut. Das ist eine gute Taktik, dachte Gus. Es war ein Fehler, geringwertiger zu erscheinen, nur weil man die Arbeiter repräsentierte. Auf seine Art war Hall genauso respekteinflößend wie Vyalov.
Hall sah die Zeitungen und grinste. »Der junge Lew hat einen Fehler gemacht«, sagte er mit sichtlicher Zufriedenheit. »Er hat sich eine Menge Ärger eingebrockt.«
»Die Presse zu manipulieren ist ein gefährliches Spiel«, sagte Gus und kam direkt auf den Punkt. »Sie verlangen eine Lohnerhöhung von einem Dollar pro Tag.«
»Das sind nur zehn Cent mehr als meine Leute verdient haben, bevor Vyalov die Fabrik gekauft hat, und …«
»Vergessen Sie’s«, unterbrach ihn Gus und legte mehr Mut an den Tag, als er verspürte. »Wenn ich Ihnen fünfzig Cent geben kann, nehmen Sie dann an?«
Hall musterte ihn misstrauisch. »Ich werde es mit meinen Leuten besprechen.«
»Nein«, sagte Gus. »Sie müssen es jetzt entscheiden.« Er betete, dass man ihm seine Nervosität nicht ansah.
Hall blieb zurückhaltend. »Hat Vyalov dem zugestimmt?«
»Überlassen Sie Vyalov mir. Fünfzig Cent … Nehmen Sie’s oder lassen Sie’s bleiben.« Gus widerstand dem Verlangen, sich die Stirn abzuwischen.
Hall
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