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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Deutschland schaffen würdest. »Erzählen Sie mir, wie es den Bolschewiken geht«, sagte er.
    »Gut«, antwortete Grigori. »Gefährlich gut. In den letzten Monaten sind Tausende in die Partei eingetreten. Leo Trotzki hat zugesagt, uns zu unterstützen. Sie sollten ihn mal hören. Der Mann ist großartig.«
    Offenbar hatte Grigori in Trotzki seinen Helden gefunden. Aber auch die Deutschen wussten, dass er ein begnadeter Redner war. Es wäre ein großer Erfolg für die Bolschewiken, sollte es ihnen tatsächlich gelungen sein, Trotzki auf ihre Seite zu ziehen. »Im letzten Februar hatten wir zehntausend Mitglieder, jetzt sind wir zweihunderttausend«, verkündete Grigori stolz.
    »Können Sie denn politisch etwas bewirken?«
    »Wir haben eine gute Chance, die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung zu gewinnen«, sagte Grigori.
    »Wann finden die Wahlen statt?«
    »Im September. Sie wurden immer wieder verschoben.«
    »Warum?«
    Grigori seufzte. »Zuerst hat die Provisorische Regierung einen Rat einberufen, der sich zwei Monate später endlich darauf geeinigt hat, einen zweiten Rat aus sechzig Mitgliedern einzurichten, um ein Wahlgesetz zu entwerfen.«
    »Warum dieser Aufwand?«
    Zorn spiegelte sich auf Grigoris Gesicht. »Angeblich, damit die Rechtmäßigkeit der Wahl nicht angefochten werden kann. Aber das ist nicht der wahre Grund. Die konservativen Parteien ziehen das Verfahren in die Länge, weil sie genau wissen, dass sie verlieren werden.«
    »Und warum glauben Sie, dass die Bolschewiken gewinnen?«
    »Wir sind die einzige Partei, die fest zum Frieden entschlossen ist«, antwortete Grigori. »Und dank unserer Zeitungen und Flugblätter weiß das auch jeder.«
    »Was haben Sie damit gemeint, dass es Ihnen ›gefährlich‹ gut geht?«
    »Wir sind der größte Feind der Regierung. Gegen Lenin wurde bereits Haftbefehl erlassen. Er hält sich versteckt, führt aber noch immer die Partei.«
    Walter glaubte Grigori aufs Wort: Wenn Lenin die Partei aus Zürich hatte führen können, konnte er es auch aus einem Versteck in Russland.
    »Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Walter.
    Grigori schüttelte den Kopf.
    Walter war erleichtert. Wenn Peschkow ihn nicht belogen hatte, besaß er nun die Informationen, auf die er aus gewesen war. Sein Auftrag erfüllt. Jetzt musste er nur noch nach Hause kommen.
    Mit dem Fuß schob er den Sack mit den zehntausend Rubeln über den Boden zu Grigori hinüber. Dann leerte er sein Teeglas und stand auf. »Lassen Sie sich Ihre Zwiebeln schmecken«, sagte er und ging zur Tür. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Mann im Arbeiterhemd die Prawda zusammenfaltete und aufstand.
    Walter kaufte sich einen Fahrschein nach Luga und stieg in den Zug. Er betrat einen Dritter-Klasse-Waggon und drängte sich durch die Fahrgäste, eine bunt gemischte Gruppe: trinkende, grölende Soldaten; eine jüdische Familie, die ihre Habseligkeiten in Bündeln bei sich trug, und ein paar Bauern mit leeren Käfigen; vermutlich hatten sie Hühner in der Stadt verkauft. Am anderen Ende des Waggons blieb Walter stehen und schaute zurück.
    Der Mann im Blauhemd kam ins Abteil. Er ließ Walter keine Sekunde lang aus den Augen. Walter beobachtete, wie der Mann sich rücksichtslos mit den Ellbogen zwischen den Fahrgästen hindurchdrängte. Er schien sich seiner Sache sicher zu sein. Dafür gab es nur eine Erklärung: Der Mann war Polizist.
    Walter sprang aus dem Zug und verließ den Bahnhof, so schnell er konnte. Er erinnerte sich an seine Erkundungstour vom Nachmittag und hielt auf den Kanal zu. Es war Sommer; deshalb war es jetzt am Abend noch hell. Walter hoffte, seinen Verfolger abgehängt zu haben, doch als er über die Schulter blickte, sah er, dass der Mann im Blauhemd ihn immer noch verfolgte. Offenbar war er fest entschlossen, sich Grigoris Zwiebeln verkaufenden Bauernfreund genauer anzuschauen.
    Walter wusste, dass die Russen ihn als Spion an die Wand stellen würden, wenn sie die Wahrheit herausfanden. Er rannte los. Er befand sich in einem ärmeren Stadtviertel. Hier gab es heruntergekommene Hotels und schäbige Kneipen, wie man sie in vielen Großstädten in der Bahnhofsgegend fand. Walter gelangte zu einer Ziegelei unmittelbar am Kanal. Der Hof war von einer hohen Mauer umgeben und mit einem Eisengittertor verschlossen; auf dem angrenzenden Grundstück stand ein heruntergekommenes Lagerhaus. Walter rannte von der Straße und über die freie Fläche vor dem Lagerhaus und kletterte über die Mauer der Ziegelei.

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