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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Dann schaute er sich hastig nach einem Versteck um, huschte hinter einen mannshohen Stapel Ziegelsteine, zog den Revolver aus dem Gürtel und spannte den Hahn.
    Sekunden später sah er den Polizisten über die Mauer klettern.
    Der Mann war dünn, von durchschnittlicher Größe und trug einen schmalen Schnurrbart. Er wirkte jetzt unsicher. Vermutlich war ihm klar geworden, dass er seine Zielperson nicht mehr nur verfolgte, sondern dass er selbst Teil einer Verfolgungsjagd geworden war.
    Er zog eine Waffe.
    Walter schob den Lauf seines Revolvers durch eine Lücke zwischen den Ziegelsteinen und zielte auf das Blauhemd, aber der Mann war noch nicht nahe genug, dass Walter ihn mit Sicherheit hätte treffen können.
    Ein paar Sekunden stand der Mann unschlüssig da und schaute sich um. Er wusste offensichtlich nicht, was er als Nächstes tun sollte. Schließlich drehte er sich um und ging langsam in Richtung Kanal, wobei er den Blick wachsam in die Runde schweifen ließ. Walter folgte ihm und hielt sich stets in Deckung, duckte sich hinter Ziegelsteinstapel und Baumaschinen und kam dem Mann dabei immer näher. Er wollte kein Feuergefecht, das die Aufmerksamkeit anderer Polizisten hätte erregen können: Er musste den Gegner mit ein, zwei Schüssen niederstrecken und dann schleunigst verschwinden.
    Als der Polizist den Kanal erreichte, war Walter nur noch zehn Meter von ihm entfernt. Der Mann näherte sich einer kleinen Anlegestelle und blickte suchend den Kanal hinauf und hinunter.
    Walter trat aus seiner Deckung hervor und visierte den Rücken des Blauhemds an.
    In diesem Augenblick drehte der Mann sich um und starrte genau in die Mündung von Walters Waffe.
    Er schrie.
    Es war ein hoher, schriller Schrei voller Todesangst, wie Walter ihn noch nie gehört hatte. Er wusste, dass er diesen Schrei sein Leben lang nicht vergessen würde.
    Er drückte ab. Der Schrei verstummte abrupt. Eine Sekunde lang stand der Mann schwankend da; dann fiel er zu Boden, als hätte jemand ihm die Beine weggetreten. Walter ging zu ihm und schaute in sein Gesicht: Die Augen starrten leer und tot zum Himmel.
    Walter zerrte den Leichnam zum Kanal und schob Ziegelsteine in die Kleidung des Toten, um ihm zusätzliches Gewicht zu verleihen. Dann wuchtete er den Leichnam über die niedrige Brüstung und ließ ihn ins Wasser fallen.
    Das Blauhemd versank.
    Walter machte, dass er wegkam.

    Grigori war auf einer Sitzung des Petrograder Sowjets, als die Konterrevolution begann.
    Er machte sich Sorgen, war aber nicht überrascht. Je beliebter die Bolschewiken wurden, desto gnadenloser wurden die Gegenmaßnahmen der Regierung. Die Partei gewann einen Gebietssowjet nach dem anderen, und bei den Wahlen zum Petrograder Stadtrat hatten die Bolschewiken dreißig Prozent der Stimmen erhalten. Die Regierung, die inzwischen von Kerenski geführt wurde, hatte darauf reagiert, indem sie Trotzki verhaften ließ und die reichsweiten Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung abermals verschob, genau wie die Bolschewiken es prophezeit hatten, was ihnen zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh.
    Dann war die Armee am Zug.
    General Kornilow war ein kahl geschorener Kosak »mit dem Herzen eines Löwen und dem Hirn eines Schafs«; so jedenfalls hatte General Alexejew ihn charakterisiert. Am 9. September befahl Kornilow seinen Truppen, gegen Petrograd zu marschieren.
    Der Sowjet reagierte sofort. Die Deputierten gründeten ein Komitee zur Bekämpfung der Konterrevolution. Aber ein Komitee, das wusste Grigori, konnte nicht viel ausrichten, und so ergriff er auf der Versammlung das Wort. Als Deputierter des 1. Maschinengewehrregiments war er ein geachteter Mann, dem man respektvoll zuhörte, vor allem wenn es um militärische Fragen ging. »Ein Komitee ist sinnlos«, rief Grigori leidenschaftlich, »erst recht, wenn die Mitglieder nur Reden schwingen. Wenn die letzten Berichte stimmen, sind Kornilows Truppen nicht mehr weit von den Stadtgrenzen entfernt. Sie können nur mit Gewalt aufgehalten werden.« Grigori trug stets seine Uniform und hatte immer sein Gewehr und die Pistole dabei. »Das Komitee ist nutzlos, wenn es nicht die Arbeiter und Soldaten Petrograds gegen die meuternde Armee mobilisiert!«
    Nach hitzigen Diskussionen kam man überein, dass dem Komitee drei Menschewiken, drei Sozialrevolutionäre und drei Bolschewiken angehören sollten, darunter Grigori. Doch alle wussten, dass letztlich nur die Bolschewiken zählten.
    Kaum war so entschieden worden, verließen die

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