Sturz der Titanen
bedeutete, das Volk zu bewaffnen.
Isaak und Gleb setzten ihre Briefe auf und ließen sie ohne weitere Diskussion vom Vorsitzenden unterzeichnen. Konstantin stellte seine Liste von Gewerkschaftsführern zusammen und schickte ihnen seine Botschaften, während Viktor sich daranmachte, die Eisenbahner zu organisieren.
Anschließend diskutierte das Komitee über den Wortlaut des Briefes an die Nachbarstädte. Grigori schlich sich davon. Er hatte bekommen, was er wollte. Die Verteidigung Petrograds und die Revolution waren auf dem besten Weg, und die Bolschewiken gaben dabei die Richtung vor.
Als Nächstes brauchte Grigori verlässliche Informationen über die konterrevolutionären Streitkräfte. Näherten sich wirklich schon Truppen den südlichen Vorstädten Petrograds? Falls ja, musste schneller gehandelt werden, als es dem schwerfälligen Komitee möglich war.
Grigori ging vom Smolny-Institut über die Brücke und das kurze Stück bis zu seiner Kaserne. Dort bereiteten die Männer sich bereits auf den Kampf gegen Kornilows Einheiten vor. Grigori besorgte sich einen Panzerwagen, einen Fahrer sowie drei zuverlässige Revolutionssoldaten und fuhr durch die Stadt nach Süden.
Der Herbstnachmittag ging in den Abend über, als sie durch die Vorstädte fuhren und nach den Meuterern suchten. Nach mehreren Stunden erfolgloser Suche kam Grigori zu dem Schluss, dass die Berichte über General Kornilows Fortschritte übertrieben waren. Dann aber entdeckten sie ein Infanterieregiment Kornilows, das sich in einer Schule einquartiert hatte.
Grigori überlegte, ob er in die Kaserne zurückfahren sollte, um dem 1. Maschinengewehrregiment den Befehl zu erteilen, auszurücken und anzugreifen. Aber vielleicht gab es ja eine andere, bessere Möglichkeit. Grigori kam eine Idee. Sie war riskant, könnte aber ein Blutvergießen vermeiden.
Grigori wollte versuchen, den Kampf durch Worte zu gewinnen.
Sie fuhren an einem apathischen Wachmann vorbei auf den Schulhof, und Grigori stieg aus. Vorsichtshalber pflanzte er das Bajonett auf. Dann warf er sich das Gewehr über die Schulter und versuchte, einen möglichst gelassenen Eindruck zu machen.
Mehrere Soldaten kamen auf ihn zu. Ein Oberst fragte: »Was tust du hier, Sergeant?«
Grigori beachtete ihn nicht und wandte sich stattdessen an einen Korporal. »Ich muss mit dem Vorsitzenden eures Komitees sprechen, Genosse.«
»In diesem Regiment gibt es keine Soldatenkomitees, Genosse« , stieß der Oberst wütend hervor. »Mach, dass du wieder in deinen Wagen kommst, und verschwinde.«
Doch der Korporal sagte mit einer Mischung aus Trotz und Angst: »Ich war Vorsitzender des Komitees in meiner Kompanie, Sergeant … bevor die Komitees verboten wurden.«
Das Gesicht des Obersts verdunkelte sich vor Zorn.
Es war eine Mini-Revolution, erkannte Grigori. Wer würde siegen? Der Oberst oder der Korporal?
Immer mehr Soldaten drängten herbei.
»Dann sag mir«, wandte Grigori sich an den Korporal, »warum ihr gegen die Revolution marschiert.«
»Das tun wir nicht«, widersprach der Korporal. »Wir sind hier, um die Revolution zu verteidigen.«
»Dann hat man euch belogen!« Grigori drehte sich um und hob die Stimme, als er sich an die Umstehenden wandte. »Der Ministerpräsident, Genosse Kerenski, hat General Kornilow entlassen, aber Kornilow will nicht gehen! Deshalb hat er euch geschickt, um Petrograd anzugreifen!«
Missbilligendes Raunen durchlief die Reihen der Soldaten.
Der Oberst blickte unsicher drein. Er wusste, dass Grigori die Wahrheit sagte. »Genug von diesen Lügen«, stieß er dann hervor. »Mach, dass du wegkommst, Sergeant, sonst schieße ich dich über den Haufen.«
»Lassen Sie die Finger von Ihrer Waffe, Oberst«, erwiderte Grigori kalt. »Ihre Männer haben ein Recht auf die Wahrheit.« Er ließ den Blick über die noch immer anwachsende Menge schweifen. »Auch mir gefällt nicht alles, was Kerenski getan hat. Er hat die Todesstrafe und die Prügelstrafe wieder eingeführt. Aber er ist unser Revolutionsführer, während euer General die Revolution vernichten will.«
»Das ist eine Lüge!«, rief der Oberst. »Dieser Sergeant ist Bolschewik! Und jeder weiß, dass die Bolschewiken von Deutschland bezahlt werden!«
»Wem sollen wir denn jetzt glauben?«, fragte der Korporal. »Du, Sergeant, sagst dies, und der Oberst sagt das.«
»Glaubt keinem von uns«, erwiderte Grigori. »Findet die Wahrheit selbst heraus.« Wieder hob er die Stimme. »Ihr braucht euch nicht in
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