Sturz der Titanen
Menschen niederen Standes zu prügeln, und es überraschte ihn nicht, dass solche Übergriffe zu Aufruhr führten. »Hast du jemandem davon erzählt?«
»Ich habe eine Nachricht in die Stadt geschickt und um die Entsendung einer Polizei- oder Militäreinheit gebeten, damit die Ordnung aufrechterhalten wird. Aber bis jetzt ist mein Bote nicht zurück.«
»Also sind wir auf uns selbst angewiesen.«
»Ja. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, müssen wir die Frauen in Sicherheit bringen.«
Fitz war verzweifelt. Das war schlimmer, als er erwartet hatte. Wenn es so weiterging, konnte es sie alle das Leben kosten. Er erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, hierherzukommen. Er musste Bea schnellstmöglich von hier wegbringen.
Fitz stand auf. »Ich sollte jetzt gehen und mich zum Dinner umziehen.«
Andrej nickte und führte ihn in sein Zimmer hinauf. Jenkins hatte die Abendgarderobe bereits ausgepackt und bügelte sie noch einmal. Fitz zog sich aus. Er kam sich wie ein Narr vor. Er hatte Bea und sich selbst in Gefahr gebracht. Zwar hatte er einen Eindruck von der Situation in Russland gewonnen, doch der Bericht, den er darüber schreiben würde, war das Risiko kaum wert. Fitz beschloss, gleich morgen früh den ersten Zug zu nehmen.
Sein Revolver lag in einer Schublade des Schrankkoffers. Fitz überprüfte Hammer und Trommel, klappte die Waffe auf und schob die Patronen hinein. In einem Dinnerjacket konnte man die Waffe nicht verstecken, also steckte er sie in die Hosentasche, auch wenn diese dabei unschön ausgebeult wurde. Er wies Jenkins an, die Reisekleidung zu verstauen; dann ging er in Beas Zimmer. Sie stand in Unterwäsche vor dem Spiegel und probierte eine Halskette an. Sie sah üppiger aus als gewöhnlich, besonders ihre Brust und die Hüften. Fitz fragte sich, ob sie schwanger war, zumal ihr an diesem Morgen in Moskau, auf der Fahrt zum Bahnhof, plötzlich übel geworden war.
Beas Zimmer lag auf der Vorderseite des Hauses, und über den Park und die Felder hinweg konnte man bis zum nächsten Dorf sehen. Als Fitz’ Blick zum Fenster fiel, erstarrte er. Mehr als hundert Bauern näherten sich durch den Park der Villa. Obwohl noch Tag war, trugen viele von ihnen Fackeln. Einige hatten Gewehre dabei.
»Oh, Scheiße«, stieß Fitz hervor.
Bea war schockiert. »Fitz! Hast du vergessen, dass ich hier bin?«
»Sieh dir das an.«
Bea kam ans Fenster und schnappte nach Luft. »O Gott!«
Fitz rief: »Jenkins! Jenkins, sind Sie da?« Er öffnete die Verbindungstür. Der Kammerdiener war gerade dabei, den Reiseanzug aufzuhängen, und schaute Fitz erschrocken an. »Wir sind in großer Gefahr«, sagte Fitz drängend. »In fünf Minuten müssen wir von hier verschwunden sein. Laufen Sie zum Stall, rasch! Lassen Sie anspannen, und bringen Sie die Kutsche so schnell wie möglich zur Hintertür.«
Jenkins ließ den Anzug fallen und rannte los.
Fitz drehte sich zu Bea um. »Wirf dir einen Mantel über, und schnapp dir ein Paar Schuhe, in denen du rennen kannst. Dann geh in die Küche und warte dort auf mich.«
Er musste ihr zugutehalten, dass sie nicht hysterisch wurde, sondern tat, was er sagte.
Fitz humpelte zu Andrejs Schlafzimmer. Doch er traf weder seinen Schwager noch Valerija an. Er ging nach unten. Georgi und einige der männlichen Diener waren in der Eingangshalle. Sie wirkten verängstigt.
Fitz traf Fürst und Fürstin im Salon an. Auf dem Tisch standen ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner und zwei volle Gläser, doch die beiden tranken nicht. Andrej stand vor dem Kamin, Valerija am Fenster, von wo aus sie den näher kommenden Mob beobachtete. Fitz trat neben sie. Die Bauern hatten nun fast die Tür erreicht. Einige trugen Schusswaffen bei sich, die meisten aber nur Messer, Hämmer und Sensen.
»Georgi wird versuchen, mit ihnen zu reden«, sagte Andrej. »Sollte das scheitern, muss ich selbst zu ihnen sprechen.«
»Um Himmels willen, Andrej!«, rief Fitz. »Die Zeit zu reden ist vorbei. Wir müssen verschwinden! Jetzt sofort!«
Bevor Andrej etwas erwidern konnte, hörten sie laute Stimmen am Eingang.
Fitz ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Er sah Georgi, den Verwalter, der mit einem jungen Mann diskutierte, dessen buschiger Schnurrbart bis über die Wangen reichte. Fitz vermutete, dass es sich um Fjodor Igorowitsch handelte. Die beiden waren von einer Gruppe Männern und Frauen umringt; einige von ihnen hielten Fackeln in den Händen. Immer mehr drängten durch den Haupteingang
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