Sturz der Titanen
dem Unglück Aufmerksamkeit zu schenken. Die Leute könnten uns für gleichgültig halten.«
Fitz vermutete einen Streit zwischen dem König und dessen Stab. Sir Alan Tite wollte die Rundfahrt offenbar absagen, weil er davon ausging, dass das Risiko auf diese Weise am geringsten wäre. Der König jedoch schien den Wunsch zu haben, seinen Untertanen eine Geste des Mitgefühls zu zeigen.
Stille trat ein, während Generaldirekter Jones die Frage überdachte. Als er schließlich antwortete, sagte er nur: »Das ist eine schwierige Entscheidung.«
Ethel fragte: »Darf ich einen Vorschlag machen?«
Peel war entsetzt. »Williams!«, zischte er. »Reden Sie nur, wenn Sie angesprochen werden!«
Auch Fitz war erschrocken über ihre Impertinenz gegenüber dem König. Er versuchte, seine Stimme so ruhig wie möglich zu halten, als er sagte: »Vielleicht später, Williams.«
Doch der König lächelte. Zu Fitz’ Erleichterung schien er Ethel zu mögen. »Wir können uns durchaus anhören, was die junge Frau vorzuschlagen hat«, sagte er.
Mehr Ansporn brauchte Ethel nicht. Ohne Umschweife sagte sie: »Sie und die Königin sollten die Familien der Hinterbliebenen besuchen. Keine Parade, nur eine Kutsche mit schwarzen Pferden. Das würde den Leuten viel bedeuten. Jeder würde Sie für wundervoll halten.« Sie verstummte und biss sich auf die Lippen.
Mit dem letzten Satz hatte Ethel gegen die Etikette verstoßen, wie Fitz wusste: Der König hatte es nicht nötig, bei seinen Untertanen den Eindruck zu erwecken, er sei wundervoll.
Sir Alan war entsetzt. »So etwas hat es noch nie gegeben, Majestät!«
Dem König jedoch schien die Idee zu gefallen. »Die Hinterbliebenen besuchen …«, murmelte er vor sich hin. Dann wandte er sich seinem Kammerherrn zu. »Beim Jupiter, Alan, ich glaube, es ist ein großartiger Einfall, den Leuten in diesen düsteren Stunden mein Mitgefühl auszusprechen. Keine Kavalkade, nur ein Gespann.« Er wandte sich wieder dem Hausmädchen zu. »Sehr gut, junge Dame«, sagte er. »Ich danke Ihnen, dass Sie das Wort ergriffen haben.«
Fitz stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Am Ende wurde es natürlich doch mehr als nur ein Gespann. In der ersten Kutsche fuhren der König und die Königin zusammen mit Sir Alan und einer Hofdame; Fitz und Bea folgten in einer zweiten Kutsche gemeinsam mit dem Bischof, und ein Einspänner mit Dienstboten bildete den Schluss. Generaldirektor Jones hatte sich der Abordnung anschließen wollen, aber Fitz brachte ihn rasch von dieser Idee ab. Wie Ethel es ausdrückte, wären die Trauernden dem Generaldirektor wahrscheinlich an die Gurgel gefahren.
Der Tag war windig, und ein kalter Regen peitschte die Pferde, als sie die lange Zufahrt von Ty Gwyn entlangtrotteten. Ethel saß in der dritten Kutsche. Durch ihren Vater kannte sie jede Bergarbeiterfamilie in Aberowen. Sie war der einzige Mensch auf Ty Gwyn, der die Namen sämtlicher Verunglückten wusste. Sie hatte den Kutschern den Weg beschrieben; nun war es Ethels Aufgabe, dem Kammerherrn mitzuteilen, wen er jeweils vor sich hatte. Sie drückte sich selbst die Daumen. Es war ihre Idee gewesen, und wenn die Sache fehlschlug, würde man ihr die Schuld geben.
Als Ethel zum schmiedeeisernen Tor hinausfuhr, fiel ihr wie immer der schroffe Übergang ins Auge. Auf Ty Gwyn war alles Eleganz und Schönheit; draußen jedoch wartete die Hässlichkeit der wirklichen Welt. Neben der Straße zog sich eine Reihe von Landarbeiterhütten hin, winzige Behausungen mit zwei Kammern, vor denen Brennholz oder irgendwelcher Trödel lagen und schmutzige Kinder im Graben spielten. Bald darauf schlossen sich die Bergarbeitersiedlungen an, die zwar den Tagelöhnerquartieren überlegen waren, aber unansehnlich und monoton für jeden, der wie Ethel von den perfekten Proportionen der Fenster, Türen und Dächer von Ty Gwyn verwöhnt war. Die Leute hier trugen billige Kleidung, die schnell die Form verlor und abgetragen aussah und deren Farben wegen der minderwertigen Farbstoffe rasch ausbleichten, sodass alle Männer in gräulichen Anzügen und sämtliche Frauen in bräunlichen Kleidern herumliefen. Ethel wurde oft um den warmen Wollrock und die schmucke Baumwollbluse beneidet, die sie als Hausangestellte bekam, und doch sagten manche Mädchen, sie würden niemals so tief sinken, dass sie sich als Dienstbotin verdingten. Den größten Unterschied zwischen der Gesellschaft auf Ty Gwyn und den Bergarbeitern entdeckte man, wenn man den Leuten ins
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