Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Gemahl.
    Während die Majestäten in ihre Kutsche stiegen, reichte Fitz der Witwe einen Umschlag. Ethel wusste, dass fünf Goldsovereigns und ein Brief darin waren, handgeschrieben auf Ty-Gwyn-Papier mit blauem Wappen: Von Earl Fitzherbert als Zeichen seines Mitgefühls.
    Auch das war Ethels Idee gewesen.

    Eine Woche nach dem Grubenunglück ging Billy mit Dah, Mam und Gramper zur Kirche.
    Das Innere der Bethesda-Kapelle war ein quadratischer, weiß getünchter Raum ohne Bilder an den Wänden. Die Stühle standen in ordentlichen Reihen den vier Seiten des schmucklosen Altars zugewandt. Ein Krug mit billigem Sherry stand darauf, daneben ein Porzellanteller von Woolworth, auf dem ein Laib Weißbrot lag. Der Gottesdienst wurde weder Kommunion noch Messe genannt, sondern »Brechen des Brotes«.
    Um elf Uhr saß die gut hundertköpfige Gemeinde auf ihren Plätzen. Die Männer trugen ihre besten Anzüge, die Frauen Hüte, und die Kinder nahmen sauber geschrubbt und ungeduldig die hinteren Reihen ein. Einen festgeschriebenen Ablauf gab es nicht. Die Männer taten, was der Heilige Geist ihnen eingab: Sie sprachen ein improvisiertes Gebet, stimmten ein frommes Lied an, lasen einen Abschnitt aus der Bibel vor oder hielten eine kurze Predigt. Die Frauen hatten selbstverständlich zu schweigen.
    In der Praxis gab es allerdings doch einen bestimmten Ablauf: Das erste Gebet wurde immer von einem Ältesten gesprochen, der dann das Brot brach und den Teller dem Nächstsitzenden reichte. Jedes Gemeindemitglied – außer den Kindern – nahm ein kleines Stück Brot und aß es. Daraufhin wurde der Wein herumgereicht, und jeder trank aus dem Krug; die Frauen nippten nur, während manche Männer einen kräftigen Schluck nahmen. Dann saßen alle schweigend da, bis jemand sich bemüßigt fühlte, das Wort zu ergreifen.
    Als Billy seinen Vater einmal gefragt hatte, wie alt man sein müsse, um beim Gottesdienst das Wort zu erheben, lautete die Antwort: »Dafür gibt es keine Regel. Wir folgen, wohin der Heilige Geist uns führt.« Billy hatte Dah beim Wort genommen. Wenn ihm während der Messe die erste Zeile eines Chorals in den Sinn kam, wertete er dies als Aufforderung durch den Heiligen Geist, sich zu Wort zu melden, und er stand auf und kündigte das Lied an. Vielleicht erschien das ein bisschen altklug, gemessen an Billys jungen Jahren, aber die Gemeinde nahm es hin. Die Geschichte, wie ihm bei seiner Mutprobe unter Tage der Herr Jesus erschienen war, hatte in vielen Kapellen des Kohlereviers von Südwales die Runde gemacht, und Billy wurde als jemand Besonderes angesehen.
    An diesem Morgen betete die Gemeinde um Trost für die Hinterbliebenen, besonders für Mrs. Dai Ponies, die verschleiert dasaß, mit ihrem verängstigt dreinblickenden ältesten Sohn an der Seite. Dah bat Gott, Großmut in die Herzen der Gläubigen zu säen, auf dass sie den Minenbesitzern vergeben konnten, das Gesetz über die Bereitstellung von Atemgeräten und die umkehrbare Bewetterung von 1911 übergangen zu haben. Billy kam das alles ein bisschen dürftig vor; nur um Nachsicht und Linderung zu bitten, erschien ihm zu wenig. Er wollte begreifen, wie die Explosion sich in Gottes Plan fügte.
    Bisher hatte Billy die Gemeinde noch nie beim Gebet geführt. Viele Männer trugen dabei klangvolle Zitate aus der Heiligen Schrift vor, beinahe so, als hielten sie eine Predigt. Doch Billy vermutete, dass Gott sich von schönen Worten nicht so leicht beeindrucken ließ. Ihn selbst hatten die schlichten Gebete, die von Herzen kamen, stets am meisten gerührt.
    Gegen Ende des Gottesdienstes nahmen die Gedanken und Empfindungen, die Billy durch den Kopf gingen, deutliche Gestalt an, und ihn überkam der dringende Wunsch, sie in Worte zu fassen. Im Vertrauen darauf, dass der Heilige Geist dieses heftige Verlangen in ihm erweckt hatte, erhob sich Billy und sagte mit geschlossenen Augen: »O Herr, wir haben Dich heute Morgen gebeten, denen Trost zu schenken, die einen Ehemann verloren haben, einen Vater oder einen Sohn, aber besonders unserer Schwester in Gott Mrs. Evans, und wir beten darum, dass die Trauernden ihre Herzen öffnen, um Deine Gnade zu empfangen.«
    Billy holte tief Luft, ehe er fortfuhr: »Und nun bitten wir Dich um ein weiteres Geschenk, o Herr, nämlich um den Segen des Begreifens. Wir müssen wissen, warum sich dieses Unglück ereignet hat. Alles geschieht nach Deinem Willen. Warum also, o Herr, hast Du erlaubt, dass ein schlagendes Wetter die Hauptsohle

Weitere Kostenlose Bücher