Sturz der Titanen
Gesicht schaute. Wer in der Minensiedlung wohnte, hatte unreine Haut, schmutziges Haar und schwarze Fingernägel. Die Männer husteten, die Frauen schnieften, und den Kindern lief ständig die Nase. Die Armen schlurften und hinkten über Straßen, auf denen die Reichen selbstbewusst ausschritten.
Die Kutschen fuhren nun den Berghang hinunter zur Mafeking Terrace. Die meisten Bewohner standen am Straßenrand Spalier und warteten, aber es waren keine Flaggen zu sehen, und es gab keinen Jubel. Die Leute verbeugten sich nur oder knicksten, als die Kavalkade an ihnen vorbeizog und schließlich vor dem Haus Nummer 19 hielt.
Ethel sprang von der Kutsche, ging zu Sir Alan und sagte leise: »Sian Evans, fünf Kinder, hat ihren Ehemann David verloren, einen Pferdetreiber unter Tage.« Ethel hatte David Evans, genannt Dai Ponies, gut gekannt; er war ein Ältester der Bethesda-Kapelle gewesen.
Sir Alan nickte, als Ethel geendet hatte, und flüsterte dem König ins Ohr. Daraufhin ging das Königspaar zur Haustür, von der die Farbe abblätterte. Nie hätte Ethel geglaubt, einmal zu erleben, wie der König an die Tür eines Bergmanns klopfte. George V . trug einen Frack und einen hohen schwarzen Hut, denn Ethel hatte Sir Alan nachdrücklich versichert, dass die Einwohner Aberowens nicht wünschten, ihren Monarchen in dem gleichen Tweed zu sehen, den sie selbst anhatten.
Eine Witwe in Sonntagskleidung und mit Hut öffnete die Tür. Fitz hatte vorgeschlagen, der König solle die Leute überraschen, doch Ethel war dagegen gewesen, und Sir Alan hatte ihr beigepflichtet. Bei einem überraschenden Besuch einer trauernden Familie hätte das Königspaar mit betrunkenen Männern, halb nackten Frauen und zankenden Kindern konfrontiert werden können.
»Guten Morgen, ich bin der König«, sagte Seine Majestät und hob höflich den Hut. »Sind Sie Mrs. David Evans?«
Einen Augenblick lang musterte Sian ihn verwirrt. Sie war es gewöhnt, als Mrs. Dai Ponies angesprochen zu werden.
»Ich bin gekommen, um Ihnen mein Beileid zum Verlust Ihres Gemahls David auszusprechen«, sagte der König.
Mrs. Dai Ponies schien für jede Gefühlsreaktion zu nervös zu sein. »Ich dank Ihnen«, sagte sie steif.
Der König fühlte sich angesichts dieser Förmlichkeit genauso unwohl wie die Witwe. Weder George V . noch Mrs. Dai Ponies schien imstande zu sein, eine aufrichtige Empfindung auszudrücken.
Schließlich legte die Königin der Witwe die Hand auf den Arm. »Es muss schwer für Sie sein, meine Liebe.«
»Ja, Madam«, flüsterte Mrs. Dai Ponies und brach in Tränen aus.
Ethel wischte sich die eigene Wange trocken.
Dem König war es peinlich, doch er hielt sich wacker und murmelte: »Sehr traurig, sehr traurig.«
Mrs. Dai Ponies schluchzte nun haltlos, rührte sich aber nicht vom Fleck und wandte auch das rotfleckige, verweinte Gesicht nicht ab. Ihr Schluchzen war rau vor Verzweiflung, und der Mund stand ihr offen, sodass ihr lückenhaftes Gebiss zu sehen war.
»Ach je«, sagte die Königin und drückte Mrs. Dai Ponies ein Taschentuch in die Hand. »Nehmen Sie.«
Mrs. Dai Ponies war noch keine dreißig, aber ihre großen Hände waren knorrig von der Arthritis wie bei einer alten Frau. Mit dem Taschentuch der Königin wischte sie sich das Gesicht ab und beruhigte sich allmählich. »Er war ein guter Mann, Madam«, sagte sie schniefend. »Hat nicht ein Mal die Hand gegen mich erhoben.«
Die Königin wusste nicht, was sie zu einem Mann sagen sollte, dessen hervorstechendste Eigenschaft gewesen war, niemals seine Frau verprügelt zu haben.
»Sogar zu seinen Ponys war er gut«, fügte Mrs. Dai Ponies hinzu.
»Das glaube ich gern, meine Liebe.« Die Königin fand auf vertrauten Boden zurück.
Ein Kleinkind kam aus den Tiefen des Hauses und klammerte sich an den Rockschoß seiner Mutter. Der König versuchte es erneut. »Sie haben fünf Kinder, nicht wahr?«, sagte er.
»Ach, Sir, was soll nun aus den Kleinen werden, wo sie jetzt keinen Dah mehr haben tun?«
»Sehr traurig, sehr traurig«, wiederholte der König.
Sir Alan hüstelte, worauf der König sagte: »Nun, dann wollen wir mal die anderen Menschen besuchen, die in der gleichen schlimmen Lage sind wie Sie.«
»Ach, Sir, es war so freundlich von Ihnen, dass Sie gekommen sind. Ich kann gar nicht sagen, was es mir bedeuten tut. Vielen, vielen Dank.«
Der König wandte sich ab.
»Ich werde heute Abend für Sie beten, Mrs. Evans«, sagte die Königin. Dann folgte sie ihrem
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