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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Erklärung, voll der üblichen Rhetorik, doch Grigori fand sofort den Schlüsselsatz: »Hiermit beschließt der Kongress, die Regierungsgewalt in die eigene Hand zu nehmen.«
    Genau das, was Grigori wollte.
    »Soll Trotzki das vortragen?«, fragte er.
    »Nein, nicht Trotzki.« Offenbar war Lenin der Meinung, dass Trotzki schon genug Ruhm eingeheimst hatte. Er schaute die Männer – und die eine Frau – auf der Bühne der Reihe nach an. »Lunatscharski«, sagte er schließlich.
    Grigori brachte Lunatscharski den Text, der daraufhin dem Vorsitzenden winkte. Ein paar Minuten später rief Kamenew Lunatscharski auf. Dieser erhob sich und trug Lenins Worte vor.
    Auf jeden Satz folgte lauter Jubel.
    Dann rief der Vorsitzende zur Abstimmung.
    Und jetzt verstand Grigori endlich, warum Lenin so zufrieden war: Ohne die Menschewiken und Sozialrevolutionäre hatten die Bolschewiken eine überwältigende Mehrheit im Saal. Sie konnten tun und lassen, was sie wollten. Kompromisse waren nicht mehr nötig.
    Es kam zur Abstimmung. Nur zwei Delegierte stimmten gegen den Antrag.
    Die Bolschewiken hatten die Macht und nun auch die Legitimität.
    Der Vorsitzende beendete die Sitzung um fünf Uhr nachmittags am 8. November 1917 neuer Zeitrechnung.
    Die Russische Revolution hatte gesiegt. Die Bolschewiken waren an der Macht.
    Grigori verließ den Saal hinter Josef Stalin und einem weiteren Mann. Stalins Gefährte trug einen Ledermantel und einen Patronengürtel wie viele Bolschewiken, aber irgendetwas an ihm ließ bei Grigori die Alarmglocken schrillen. Als der Mann sich zu Stalin umdrehte, erkannte Grigori ihn, und ein Schauder des Entsetzens lief ihm über den Rücken.
    Es war Michail Pinsky.
    Er hatte sich der Revolution angeschlossen.

    Grigori war zu Tode erschöpft. Seit zwei Nächten hatte er nicht mehr geschlafen. Es hatte so viel zu tun gegeben, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie schnell die Zeit verflogen war. Die Panzerwagen waren die unbequemsten Fahrzeuge, in denen er je gereist war; dennoch schlief er tief und fest, als er in einem dieser Fahrzeuge nach Hause gebracht wurde. Als Isaak ihn weckte, sah er, dass sie vor seinem Haus standen. Grigori fragte sich, ob Katherina wusste, was geschehen war. Wenn nicht, würde es ihm eine Freude sein, ihr vom Triumph der Revolution zu erzählen.
    Grigori ging ins Haus und schlurfte müde die Treppe hinauf. Licht fiel unter der Tür hindurch. »Ich bin’s«, sagte er und betrat die Wohnung.
    Katherina saß im Bett und hielt einen winzigen Säugling in den Armen.
    Grigori strahlte vor Freude. »Das Kind ist da!«, rief er. »Er ist wunderschön!«
    »Es ist ein Mädchen.«
    »Ein Mädchen!«
    »Du hast versprochen, hier zu sein«, sagte Katherina mit leisem Vorwurf.
    »Ich konnte doch nicht wissen, wann es so weit ist!«, verteidigte sich Grigori und betrachtete das neugeborene Mädchen. »Sie hat dunkles Haar wie ich. Wie sollen wir sie nennen?«
    »Ich habe dir eine Nachricht geschickt.«
    Plötzlich erinnerte Grigori sich an den Rotgardisten, der ihm mitgeteilt hatte, jemand suche ihn. Irgendetwas von wegen einer Hebamme, hatte der Mann gesagt. »Tut mir leid«, sagte Grigori. »Ich war sehr beschäftigt.«
    »Magda war bei einer anderen Entbindung«, sagte Katherina. »Ich musste Xenia rufen.«
    »War es schlimm?«
    »Ein Vergnügen war es nicht«, antwortete Katherina spöttisch.
    »Das tut mir leid«, wiederholte Grigori, »aber es sind große Dinge geschehen. Die Revolution hat gesiegt, Katherina! Wir haben die Macht übernommen! Die Bolschewiken bilden die Regierung!« Er beugte sich zu ihr, um sie zu küssen.
    »Das dachte ich mir schon«, sagte Katherina und drehte den Kopf weg.

Kapitel 29
    März 1918
    Walter stand auf dem Dach einer kleinen mittelalterlichen Kirche im Dorf Villefranche-sur-Oise, nicht weit von St. Quentin entfernt. Eine Zeit lang hatte das hinter der Front gelegene Dorf den deutschen Truppen zur Erholung gedient, und die französischen Bewohner hatten das Beste daraus gemacht. Wann immer möglich, hatten sie den Besatzern Omelettes und Wein verkauft. »Malheur la guerre« , sagten sie jedes Mal. »Pour nous, pour vous, pour tout le monde!« Ein schrecklicher Krieg – für uns, für euch, für die ganze Welt. Seitdem hatten kleinere Vorstöße der Alliierten die französischen Zivilisten vertrieben. Die Hälfte aller Gebäude war zerstört, und das Dorf lag nun wesentlich näher an der Front. Jetzt diente es nicht mehr der Erholung, sondern der

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