Sturz der Titanen
dieses Dokument heute nie unterzeichnet.«
»Aber ihr habt nicht mehr das Sagen, denn ihr habt den Krieg verloren. Ihr habt dem Kaiser gesagt, ihr könntet siegen, und der Kaiser hat euch geglaubt und darum seine Krone verloren. Wie sollen wir aus unseren Fehlern lernen, wenn wir das deutsche Volk solche Lügen glauben lassen?«
»Wenn das Volk glaubt, wir seien besiegt worden, wird es demoralisiert.«
»Es soll demoralisiert werden! Die Herrscher Europas haben etwas Schlimmes und Dummes getan, das zehn Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Lass die Leute wenigstens das begreifen, damit so etwas nie wieder passiert!«
»Nein«, widersprach ihm sein Vater.
Dritter Teil
Eine neue Weltordnung
Kapitel 34
November bis Dezember 1918
Am Morgen nach dem Tag des Waffenstillstands wachte Ethel früh auf. Als sie in der steingefliesten Küche zitternd darauf wartete, dass auf dem altmodischen Herd das Teewasser zu kochen begann, beschloss sie, glücklich zu sein. Sie hatte so viel, worüber sie glücklich sein konnte. Der Krieg war vorüber, und sie erwartete ein Kind. Sie hatte einen treuen Ehemann, der sie vergötterte. Die Dinge hatten sich zwar nicht so entwickelt, wie sie es sich gewünscht hatte, aber davon würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie beschloss, die Küche in einem fröhlichen Gelb zu streichen. Bunte Küchen waren in Mode.
Aber vorher musste sie versuchen, ihre Ehe zu kitten. Bernie war durch ihre Kapitulation besänftigt, sie selbst aber verübelte ihm sein Verhalten noch immer, und im Haus herrschte nach wie vor eine vergiftete Stimmung. Ethel war zwar wütend auf Bernie, wollte aber nicht, dass es zu einem dauerhaften Bruch kam.
Sie nahm zwei Tassen Tee mit ins Schlafzimmer und legte sich wieder ins Bett. Lloyd schlief noch in seinem Bettchen in der Ecke. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie, als Bernie sich aufrichtete und die Brille aufsetzte.
»Besser, glaube ich.«
»Bleib noch einen Tag im Bett, dann kannst du sicher sein, dass du die Grippe ganz los bist.«
»Vielleicht tue ich das.« Seine Stimme klang unbeteiligt; es lag weder Wärme noch Feindseligkeit darin.
Ethel nippte vom heißen Tee. »Was wäre dir lieber, ein Junge oder ein Mädchen?«
Bernie schwieg. Zuerst glaubte sie, er wollte ihr dickköpfig die Antwort verweigern. Aber wie es seine Gewohnheit war, dachte er nur ein paar Sekunden nach; dann sagte er: »Einen Jungen haben wir. Da wäre es schön, wenn wir jetzt ein Mädchen bekämen.«
In Ethel erwachte die alte Zuneigung zu Bernie. Von Lloyd sprach er immer wie von einem eigenen Sohn. »Wir müssen dafür sorgen, dass das Land, in dem die Kinder aufwachsen, ein friedliches Land ist«, sagte sie. »Ein Land, in dem sie eine gute Schulbildung bekommen und Arbeit und ein anständiges Haus, in dem sie ihre eigenen Kinder aufziehen können. Ein Land ohne weitere Kriege.«
»Lloyd George wird eine Blitzwahl abhalten.«
»Meinst du?«
»Er ist der Mann, der den Krieg gewonnen hat. Er wird sich wiederwählen lassen, ehe die Begeisterung nachlässt.«
»Ich glaube, die Labour-Partei wird trotzdem gute Ergebnisse erzielen.«
»Wir haben jedenfalls Chancen in Wahlbezirken wie Aldgate.«
Ethel zögerte. »Möchtest du, dass ich deinen Wahlkampf leite?«
Bernie wirkte unschlüssig. »Ich habe Jock Reid gebeten, mein Wahlkampfleiter zu sein.«
»Jock kann sich um die rechtliche Seite und um die Finanzen kümmern«, sagte Ethel. »Ich organisiere Kundgebungen und dergleichen. Das kann ich viel besser als er.« Plötzlich merkte sie, dass es nicht nur um den Wahlkampf ging, sondern auch um ihre Ehe.
»Bist du sicher, dass du das für mich tun willst?«
»Ja. Jock wird dich nur durch die Gegend schicken – überall dorthin, wo du reden sollst. Das musst du natürlich auch tun, aber Ansprachen sind nicht deine Stärke. Dir liegt es mehr, dich mit wenigen Leuten zusammenzusetzen und bei einer Tasse Tee zu diskutieren. Ich bringe dich in Fabriken und Lagerhäuser, wo du mit den Arbeitern reden kannst.«
»Gute Idee«, sagte Bernie.
Ethel trank ihren Tee aus und stellte die Tasse neben das Bett auf den Boden. »Du fühlst dich also besser?«
»Ja.«
Sie nahm seine Tasse, stellte sie ab und zog sich das Nachthemd über den Kopf. Ihre Brüste waren nicht mehr so keck wie vor ihrer Schwangerschaft mit Lloyd, aber noch immer fest und rund. »Wie viel besser?«, fragte sie.
Er starrte auf ihren Busen. »Viel, viel besser.«
Sie hatten sich seit dem Abend, an
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