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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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möglich erfahren wollten.«

    Mitten am Tag kam Mildred herunter und sagte zu Ethel: »Lass uns nach Westen gehen.« Damit meinte sie das Londoner Westend. »Jeder geht da hin«, sagte sie. »Ich habe die Mädchen nach Hause geschickt.« In ihrem Betrieb beschäftigte sie mittlerweile zwei junge Näherinnen. »Im ganzen Eastend machen sie die Läden dicht. Schließlich ist Kriegsende!«
    »Ich bin dabei.« Ethel wollte unbedingt mit. Dass sie Bernie nachgegeben hatte, hatte die häusliche Atmosphäre nicht sonderlich verbessert. Er war zwar besserer Laune, doch Ethel war bitterer geworden. Es würde ihr guttun, mal aus dem Haus zu kommen. »Ich muss Lloyd mitnehmen«, sagte sie.
    »Ja, fein. Ich nehme Enid und Lil mit. Sie werden sich ihr Leben lang an diesen Tag erinnern! Den Tag, an dem wir den Krieg gewonnen haben!«
    Ethel machte Bernie ein Käsesandwich zu Mittag; dann zog sie Lloyd warm an, und sie machten sich auf den Weg und stiegen in einen Bus, der in Windeseile bis auf den letzten Platz besetzt war. Männer und Jungen fuhren mit, indem sie sich außen an Türen und Fenster klammerten. An jedem Haus schien eine Fahne zu wehen – nicht nur Union Jacks, auch walisische Drachen, französische Trikoloren und amerikanische Sternenbanner. Wildfremde Menschen fielen einander in die Arme, tanzten auf den Straßen und küssten sich. Es regnete, aber das kümmerte niemanden.
    Ethel dachte an die vielen jungen Männer, die jetzt außer Gefahr waren, verdrängte ihre Sorgen und tauchte ein in den freudigen Geist des Augenblicks.
    Als sie an den Theatern vorbei waren und ins Regierungsviertel gelangten, verlangsamte der Verkehr sich auf Kriechtempo. Der Trafalgar Square war eine wogende Masse jubelnder Menschen. Der Bus kam nicht weiter, und sie stiegen aus. Die Whitehall entlang bahnten sie sich einen Weg zur Downing Street, kamen aber nicht einmal in die Nähe der Nummer 10, weil sich dort die Menschen am dichtesten drängten in der Hoffnung, einen Blick auf Premierminister Lloyd George zu erhalten, den Mann, der den Krieg gewonnen hatte. Stattdessen gingen sie in den St. James’ Park, in dem es von Pärchen wimmelte, die sich in den Sträuchern umarmten. Am anderen Ende des Parks standen Tausende vor dem Buckingham-Palast und sangen »Keep the Home Fires Burning «. Als das Lied endete, begann die Menge mit »Nun danket alle Gott«. Ethel sah, dass eine schlanke junge Frau in einem Tweedkostüm, die auf einem Lastwagen stand, den Gesang dirigierte, und musste daran denken, dass vor dem Krieg kein Mädchen so etwas gewagt hätte.
    Sie überquerten die Straße zum Green Park in der Hoffnung, näher an den Palast heranzukommen. Ein junger Mann lächelte Mildred an; als sie das Lächeln erwiderte, zog er sie an sich und küsste sie. Mildred erwiderte den Kuss begeistert.
    »Das scheint dir ja Spaß gemacht zu haben«, sagte Ethel ein bisschen neidisch, als der Junge weiterging.
    »Und wie«, sagte Mildred. »Wenn er gefragt hätte, ich hätte ihm einen geblasen.«
    »Das werde ich Billy lieber nicht erzählen«, sagte Ethel lachend.
    »Billy ist nicht blöd. Der weiß, wie ich bin.«
    Sie umgingen die Menge und erreichten die Constitution Hall. Hier war das Gewühl nicht mehr ganz so schlimm, aber sie waren nun auf der Seite des Buckingham-Palasts; deshalb würden sie den König nicht sehen können, wenn er beschloss, hinaus auf den Balkon zu kommen. Ethel fragte sich, wohin sie sich als Nächstes wenden sollten, als ein Trupp berittene Polizei die Straße entlangkam und die Leute zur Seite zwang.
    Den Berittenen folgte ein offener Pferdewagen. Darin saßen, lächelnd und winkend, König und Königin. Ethel erkannte sie sofort, denn sie erinnerte sich lebhaft an das Monarchenpaar von seinem Besuch in Aberowen vor fast fünf Jahren. Ethel konnte ihr Glück kaum fassen, als das Gespann langsam in ihre Richtung kam. Der Bart des Königs war grau geworden; als er Ty Gwyn besucht hatte, war er noch dunkel gewesen. George V . wirkte erschöpft, aber glücklich. Die Königin neben ihm hielt einen Regenschirm, damit ihr Hut nicht nass wurde. Ihr berühmter Busen wirkte noch größer als früher.
    »Guck mal, Lloyd!«, sagte Ethel. »Das ist der König!«
    Der Wagen fuhr nur wenige Handbreit entfernt an Ethel und Mildred vorüber.
    Lloyd rief laut: »He, König!«
    Der König hörte ihn und lächelte. »Guten Tag, junger Mann«, sagte er; dann war er fort.

    Grigori saß im Speisewagen des Panzerzuges und schaute über den

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