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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unseres Landes haben.«
    »Und dann ist da Sibirien.«
    Trotzki nickte. »Die Japaner und Amerikaner haben Soldaten in Wladiwostok. Die Tschechen kontrollieren den größten Teil der Transsibirischen Eisenbahn, und die Briten und Kanadier sind in Omsk und unterstützen die sogenannte Sibirische Regierung.«
    Grigori hatte das meiste von alledem schon gewusst, aber nie das Gesamtbild betrachtet. »Verdammt, wir sind umzingelt!«, sagte er.
    »Genau. Und jetzt, nachdem die kapitalistisch-imperialistischen Mächte Frieden geschlossen haben, verfügen sie über Millionen von Soldaten.«
    Grigori suchte nach einem Hoffnungsschimmer. »Andererseits haben wir die Rote Armee in den letzten sechs Monaten von dreihunderttausend Mann auf eine Million verstärkt.«
    »Ich weiß«, sagte Trotzki, doch es stimmte ihn auch nicht froh. »Aber das reicht nicht.«

    Deutschland steckte mitten in einer Revolution. In Walters Augen ähnelte sie auf erschreckende Weise dem Umsturz, der vor einem Jahr in Russland stattgefunden hatte.
    Es begann mit einer Meuterei. Die Seekriegsleitung befahl der vor Wilhelmshaven ankernden Hochseeflotte, auszulaufen und die Briten anzugreifen, was einem Selbstmord gleichgekommen wäre, doch die Seeleute wussten, dass es Waffenstillstandsverhandlungen gab, und weigerten sich. Walter hatte seinem Vater gegenüber erwähnt, dass die Offiziere gegen den ausdrücklichen Wunsch des Kaisers gehandelt hätten; demnach seien sie die Meuterer und nicht die Matrosen. Otto von Ulrich hatte vor Wut getobt.
    Der Matrosenaufstand weitete sich bis nach Kiel aus, und als die Regierung versuchte, ihn niederzuschlagen, wurde die Stadt von einem Arbeiter- und Soldatenrat übernommen, der nach dem Vorbild der russischen Sowjets gestaltet war. Zwei Tage später wurden auch Hamburg, Bremen und Cuxhaven von Räten beherrscht. Dann hatte der Kaiser abgedankt. Das war vorgestern gewesen.
    Walter hatte Angst. Er wollte Demokratie, keine Revolution. Doch am Tag der Abdankung waren die Arbeiter in Berlin zu Tausenden auf die Straßen gegangen, hatten rote Fahnen wehen lassen, und der Linksextremist Karl Liebknecht hatte Deutschland zu einer freien sozialistischen Republik erklärt. Walter wusste nicht, wie das enden würde.
    Der Waffenstillstand wiederum war ein furchtbarer Augenblick. Walter hatte den Krieg schon immer für einen schrecklichen Fehler gehalten; dennoch freute es ihn nicht, recht gehabt zu haben. Das Vaterland war besiegt und gedemütigt worden, und Walters Landsleute hungerten.
    Er saß im Salon des elterlichen Hauses in Berlin und blätterte die Zeitungen durch. Die Tapete war verblasst, die Bilderrahmen verstaubt. Im antiken Parkett waren einige Stücke lose, doch es gab keine Handwerker, die den Boden hätten reparieren können.
    Walter konnte nur hoffen, dass die Welt ihre Lektion lernte. Präsident Wilsons 14-Punkte-Programm war ein Hoffnungsschimmer. War es wirklich möglich, dass die Titanen unter den Nationen dieser Erde einen Weg finden würden, ihre Streitigkeiten friedlich zu lösen?
    Ein Artikel in einer rechtsgerichteten Zeitung machte Walter wütend. »Dieser Trottel von einem Reporter sagt, das deutsche Heer sei im Felde nie besiegt worden«, schimpfte er, als sein Vater den Raum betrat. »Er behauptet, wir wären von den Juden und Sozialisten in der Heimat verraten worden. Wir müssen so einen Unsinn sofort unterbinden.«
    »Warum sollten wir?«, erwiderte Otto trotzig.
    »Weil wir wissen, dass es nicht stimmt.«
    »Ich glaube auch, dass wir von Juden und Sozialisten verraten wurden.«
    »Wie bitte?« Walter konnte kaum glauben, was er da hörte. »Nicht Juden und Sozialisten haben uns an der Marne zurückgeschlagen – zweimal! Wir haben den Krieg ver-lo-ren!«
    »Wir wurden durch den mangelnden Nachschub geschwächt.«
    »Das war die britische Blockade. Und wessen Schuld war es, dass dann auch noch die Amerikaner gegen uns in den Krieg gezogen sind? Nicht die Juden oder Sozialisten haben den uneingeschränkten U -Boot-Krieg verlangt und Schiffe mit amerikanischen Passagieren versenkt!«
    »Es waren die Sozialisten, die den unerhörten Waffenstillstandsbedingungen der Entente nachgegeben haben.«
    Vor Wut verschlug es Walter beinahe die Sprache. »Du weißt doch ganz genau, dass es Ludendorff gewesen ist, der um einen Waffenstillstand gebeten hat. Friedrich Ebert wurde erst vorgestern zum Kanzler ernannt! Wie kannst du ihm da die Schuld geben?«
    »Hätte das Militär noch das Sagen, hätten wir

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