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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sich jedenfalls nicht erinnern.
    Nach dem dritten Drink fühlte Lew sich als bemitleidenswertes Opfer einer schrecklichen Ungerechtigkeit. Er hatte seinen Schwiegervater nicht umbringen wollen. Joseph hatte zuerst zugeschlagen. Und überhaupt – Lew hatte ihn eigentlich gar nicht getötet: Joseph war an einer Art Herzanfall gestorben. Es war einfach Pech gewesen. Aber das würde niemand glauben. Olga war die einzige Zeugin, und sie würde ihre Rache wollen.
    Lew schenkte sich noch einen Wodka ein und legte sich aufs Bett. Zum Teufel mit ihnen allen!
    Als er in einen ruhelosen, alkoholisierten Schlaf versank, dachte er an die Flaschen im Schaufenster des Schnapsladens. Canadian Club 4 Dollar hatte auf dem Schild gestanden. Das war irgendwie wichtig, das wusste Lew, nur konnte er im Augenblick nicht den Finger darauf legen.
    Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sein Mund wie ausgetrocknet, und ihm dröhnte der Schädel, aber er wusste, dass Canadian Club für vier Dollar seine Rettung war.
    Lew spülte das Whiskyglas und trank das geschmolzene Eis im Kühler. Nach dem dritten Schluck hatte er einen Plan.
    Nach Orangensaft, Kaffee und Aspirin ging es ihm schon besser. Er dachte über die vor ihm liegenden Gefahren nach; doch Risiken hatten ihn noch nie von irgendetwas abgeschreckt. Würde ich das zulassen, dachte er, wäre ich wie mein Bruder.
    Sein Plan hatte nur einen großen Fehler: Damit er funktionierte, musste er sich mit Olga versöhnen.
    Lew fuhr in eine arme Wohngegend und betrat ein Restaurant, in dem es Frühstück für Arbeiter gab. Er setzte sich zu einer Gruppe von Männern, die offenbar als Anstreicher arbeiteten, und sagte: »Ich will meinen Wagen gegen einen Truck tauschen. Kennt ihr jemanden, der Interesse hätte?«
    Einer der Männer fragte: »Hat der Papiere?«
    Lew setzte sein charmantestes Grinsen auf. »Denk doch mal nach, Kumpel«, sagte er. »Wenn der Wagen Papiere hätte, würde ich ihn dann hier verkaufen?«
    Lew fand weder hier noch in den nächsten Läden, in denen er sein Glück versuchte, einen Abnehmer, doch schließlich landete er in einer Automobilwerkstatt, die von Vater und Sohn geführt wurde. Dort tauschte er den Packard gegen einen Zweitonner, einen Mack Junior Kleinlaster, mit zwei Ersatzreifen ein. Er wusste, dass er übers Ohr gehauen wurde, doch der Mechaniker sah, wie verzweifelt er war.
    Am Spätnachmittag fuhr Lew zu einem Alkoholgroßhändler. »Ich will hundert Kisten Canadian Club«, sagte er. »Wie viel macht das?«
    »Bei der Menge? Sechsunddreißig Dollar die Kiste.«
    »Abgemacht.« Lew holte das Geld heraus. »Ich mache eine Kneipe vor der Stadt auf und …«
    »Erklärungen sind unnötig, Kumpel«, unterbrach ihn der Großhändler und deutete zum Fenster hinaus. Auf dem Nachbargrundstück hoben Bauarbeiter gerade eine Grube aus. »Das wird mein neues Lagerhaus, fünfmal so groß wie das hier. Gelobet sei der Herr für die Prohibition.«
    Lew erkannte, dass ihm die glorreiche Idee nicht als Erstem gekommen war.
    Er bezahlte den Mann und lud den Whisky auf seinen Truck.
    Am nächsten Tag fuhr er nach Buffalo zurück.

    Lew parkte seinen mit Whisky beladenen Lastwagen auf der Straße vor dem Haus der Vyalovs. Der Winternachmittag ging langsam in den Abend über. In der Einfahrt standen keine Autos. Lew wartete eine Zeit lang angespannt und fluchtbereit, aber nichts rührte sich.
    Die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, stieg Lew aus dem Laster, ging zur Eingangstür und ließ sich mit seinem eigenen Schlüssel hinein.
    Drinnen war es still. Dann hörte Lew von oben Daisys Stimme und die gemurmelten Antworten von Polina, aber das waren auch schon die einzigen Geräusche.
    Lew schlich über den dicken Teppich und warf einen Blick in den Salon. Sämtliche Stühle waren an die Wand geschoben worden. In der Mitte stand eine mit schwarzem Samt drapierte Bahre und darauf ein Mahagonisarg mit funkelnden Messingbeschlägen. In dem Sarg lag die Leiche von Joseph Vyalov. Im Tod hatte er seinen kampflustigen Ausdruck verloren; tatsächlich sah er sogar ziemlich harmlos aus.
    Olga saß allein neben dem Toten mit dem Rücken zur Tür. Sie trug ein schwarzes Kleid.
    Lew trat ins Zimmer. »Olga …«, sagte er leise.
    Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber Lew drückte ihr rasch eine Hand auf die Lippen.
    »Du musst dir keine Sorgen machen«, sagte er. »Ich will nur reden.« Langsam löste er seinen Griff.
    Sie schrie nicht.
    Lew entspannte sich ein wenig. Die erste Hürde

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