Sturz der Titanen
zugutehalten, dass sie keinen Mucks von sich gab.
»Du Arschloch«, sagte Lew zu Norman. »Ich habe Joseph Vyalov kaltgemacht. Glaubst du wirklich, da hätte ich Angst vor einem beschissenen Buchhalter?«
Norman stand auf, hielt sich die Hand vor den blutenden Mund und huschte aus dem Zimmer.
Lew drehte sich zu den Schlägern um. Noch immer die Pistole in der Hand, sagte er: »Wer nicht mehr für mich arbeiten will, verschwindet. Auf der Stelle. Dann kriegt er keine Probleme.«
Niemand rührte sich.
»Gut«, sagte Lew. »Das mit dem ›keine Probleme‹ war nämlich gelogen.« Er deutete auf Ilya. »Du kommst mit mir und Mrs. Peschkow. Du kannst fahren. Ihr anderen ladet den Truck aus.«
Ilya fuhr sie mit dem blauen Hudson in die Stadt.
Lew hatte das Gefühl, im Lagerhaus vielleicht einen Fehler begangen zu haben. Vor Olga hätte er nicht sagen sollen: »Ich habe Joseph Vyalov kaltgemacht.« Sie konnte ihre Meinung durchaus noch ändern. Sollte sie ihn darauf ansprechen, würde er sagen, er habe es nicht so gemeint; er habe das nur gesagt, um Norm Angst zu machen. Aber Olga erwähnte es mit keinem Wort.
Vor dem Polizeipräsidium warteten zwei Männer in langen Mänteln neben einer großen Kamera auf einem Dreibein.
Lew und Olga stiegen aus dem Wagen.
Lew sagte zu dem Reporter. »Der Tod von Joseph Vyalov war eine große Tragödie für uns, seine Familie, und für die ganze Stadt.« Der Mann kritzelte in Steno in seinen Block. »Ich bin gekommen, um der Polizei meine Sicht der Dinge zu schildern. Meine Frau Olga, die einzige andere Person, die bei seinem tragischem Zusammenbruch anwesend war, ist hier, um meine Unschuld zu bezeugen. Die Autopsie wird beweisen, dass mein Schwiegervater an einem Herzanfall gestorben ist. Meine Frau und ich haben vor, das Geschäft, das Joseph Vyalov hier in Buffalo aufgebaut hat, weiterzuführen und auszuweiten. Ich danke Ihnen.«
»Bitte, schauen Sie in die Kamera«, sagte der Fotograf.
Lew legte den Arm um Olga, zog sie zu sich heran und schaute in die Kamera.
Der Reporter fragte: »Woher haben Sie das Veilchen, Lew?«
»Das hier?« Lew deutete auf sein Auge. »Ach, wissen Sie, das ist eine andere Geschichte.« Er lächelte sein charmantestes Lächeln, und der Magnesiumblitz des Fotografen zuckte auf.
Kapitel 40
Februar bis Dezember 1920
Das Militärgefängnis Aldershot war nach Billys Meinung ein finsterer Ort, aber immer noch besser als Sibirien. Aldershot war eine Army-Stadt fünfunddreißig Meilen südwestlich von London. Das Gefängnis war ein modernes Gebäude mit Zellengalerien auf drei Stockwerken über einem Lichthof, hell erleuchtet durch das Glasdach, von dem die Anstalt ihren Spitznamen hatte, »das Treibhaus«. Mit Zentralheizung und Gasbeleuchtung war das Gefängnis behaglicher als die meisten Behausungen, in denen Billy während der vergangenen vier Jahre geschlafen hatte.
Dennoch fühlte er sich erbärmlich. Der Krieg war seit über einem Jahr zu Ende, aber er war noch immer in der Army. Die meisten seiner Freunde waren demobilisiert worden, verdienten gutes Geld und führten die Mädchen ins Kino aus. Er hingegen trug immer noch Uniform, salutierte, schlief in einem Militärbett und wurde mit Kantinenessen abgespeist. Den ganzen Tag flocht er Matten; das war die Beschäftigung in diesem Gefängnis. Und nie bekam er eine Frau auch nur zu sehen. Irgendwo draußen wartete Mildred auf ihn – hoffentlich, denn jeder konnte eine Geschichte von einem Soldaten erzählen, der nach Hause kam und feststellen musste, dass seine Frau oder seine Freundin mit einem anderen Kerl durchgebrannt war.
Billy hatte keinen Kontakt zu Mildred oder irgendjemandem sonst in Freiheit. Die Häftlinge – die »Militärstrafgefangenen«, wie sie offiziell genannt wurden – durften normalerweise Briefe schreiben und empfangen, aber Billy war ein Sonderfall. Weil er schuldig gesprochen worden war, Militärgeheimnisse in Briefen verraten zu haben, wurde seine Post von der Gefängnisleitung beschlagnahmt. Das gehörte zur Rache der Army. Natürlich kannte er keine Geheimnisse mehr, die er hätte verraten können. Was sollte er seiner Schwester denn auch schreiben? Dass die Salzkartoffeln nie richtig gar waren?
Wussten Mam, Dah und Gramper überhaupt von dem Kriegsgerichtsverfahren? Die nächsten Angehörigen des Soldaten mussten verständigt werden; aber Billy war sich nicht sicher, ob es auch in seinem Fall geschehen war, und seine Fragen wollte niemand beantworten. Aber Tommy
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