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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Wenn er sprach, waren seine schlechten Zähne zu sehen. Wilson hielt sich für hässlich, und ganz unrecht hatte er mit dieser Einschätzung nicht. Doch sein großes Kinn verlieh seinem Gesicht einen entschlossenen Ausdruck – ein Spiegelbild der Charakterstärke, die Gus so respektierte.
    »Guten Morgen, Gus«, sagte Wilson freundlich. »Wieso die Aufregung?«
    »Das hat man mir nicht gesagt, Sir.«
    »In Ordnung. Gehen Sie ins Nebenzimmer. An dem Apparat dort können Sie das Gespräch mithören.«
    Gus eilte ins angrenzende Zimmer und nahm den Hörer ab.
    Er hörte Bryans sonore Stimme. »Die Ypiranga soll um zehn Uhr heute Morgen einlaufen.«
    Gus lief ein Schauder über den Rücken. Jetzt blieb dem Präsidenten keine Wahl mehr, als nachzugeben, sonst kam es zum Blutvergießen.
    Bryan las ein Telegramm des amerikanischen Konsuls in Veracruz vor. »Der Dampfer Ypiranga unter der Flagge der Hamburg-Amerika-Linie wird morgen mit zweihundert Maschinengewehren und fünfzehn Millionen Schuss Munition aus Deutschland einlaufen. Er wird an Pier vier anlegen und um zehn Uhr dreißig mit dem Entladen beginnen.«
    »Ist Ihnen klar, was das bedeutet, Mr. Bryan?«, fragte Wilson. Gus hörte, dass die Stimme des Präsidenten verdrießlich klang. »Daniels? Sind Sie noch da, Daniels? Wie denken Sie darüber?«
    Daniels antwortete: »Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die Munition zu Huerta gelangt.« Gus war überrascht von der Unnachgiebigkeit des ansonsten eher friedliebenden Marineministers. »Ich kann Admiral Fletcher per Telegramm anweisen, die Landung zu verhindern und das Zollgebäude zu übernehmen.«
    Eine lange Pause folgte. Gus bemerkte, dass er den Hörer so fest umklammerte, dass seine Hand schmerzte. Schließlich sagte der Präsident: »Schicken Sie Admiral Fletcher den Befehl, Veracruz auf der Stelle einzunehmen.«
    »Jawohl, Mr. President«, sagte der Marineminister.
    Und Amerika war im Krieg.

    Gus ging in dieser Nacht nicht ins Bett, und auch nicht am Tag darauf.
    Kurz nach acht Uhr dreißig überbrachte Minister Daniels die Nachricht, dass ein amerikanisches Kriegsschiff der Ypiranga den Weg versperrt hatte. Das deutsche Schiff, ein unbewaffneter Frachter, hatte gewendet und war von der Bildfläche verschwunden. Später am Morgen, ließ Daniels verlauten, würden amerikanische Marineinfanteristen in Veracruz an Land gehen.
    Gus war verzweifelt wegen der sich zuspitzenden Krise, zugleich aber aufgeregt, mitten im Geschehen zu sein.
    Woodrow Wilson schreckte nicht vor Krieg zurück. Shakespeares Heinrich V . war sein Lieblingsstück; vor allem ein Zitat benutzte er gerne: »Doch wenn es Sünde ist, nach Ehre zu geizen, bin ich das schuldigste Gemüt, das lebt.«
    Die neuesten Nachrichten kamen über Funk und per Kabel; es war Gus’ Aufgabe, die Informationen dem Präsidenten zukommen zu lassen. Am Mittag übernahmen die Marineinfanteristen die Kontrolle über das Zollgebäude von Veracruz.
    Kurz darauf wurde Gus mitgeteilt, es sei jemand gekommen, der ihn zu sehen wünsche, eine Mrs. Wigmore.
    Besorgt legte Gus die Stirn in Falten. Das war indiskret. Da stimmte etwas nicht.
    Er eilte in die Lobby. Caroline, in einem Tweedmantel und einem schlichten Hut, sah verzweifelt aus. Ihr Haar war zerzaust, ihre Augen rot vom Weinen. Gus war schockiert, sie in einem solchen Zustand zu sehen. »Darling«, sagte er mit leiser Stimme. »Was ist passiert, um Himmels willen?«
    »Es muss Schluss sein mit uns beiden«, stieß sie hervor. »Es tut mir leid, aber ich darf dich nie wiedersehen.« Sie brach in Tränen aus.
    Gus hätte sie in den Arm genommen, aber das ging hier nicht. Und ein eigenes Büro hatte er nicht. Er schaute sich um. Der Wachmann an der Tür starrte zu ihm und Caroline herüber. Hier gab es keinen Platz, an dem sie unter sich gewesen wären. Es war zum Verrücktwerden. »Komm mit«, sagte er und nahm sie am Arm. »Wir gehen ein Stück spazieren.«
    Caroline schüttelte den Kopf. »Nein. Es geht schon. Bleib hier.«
    »Was hat dich so aus der Fassung gebracht?«
    Sie wollte ihm nicht in die Augen schauen. »Ich muss meinem Mann treu sein. Ich habe Verpflichtungen.«
    »Lass mich dein Mann sein.«
    Caroline hob den Kopf. Ihr sehnsüchtiger Blick brach Gus beinahe das Herz. »Ich wollte, ich könnte es.«
    »Du kannst es.«
    »Ich habe bereits einen Ehemann.«
    »Er ist dir nicht treu. Warum solltest du ihm dann treu sein?«
    Sie beachtete den Einwand nicht. »Er hat eine Professur in Berkeley

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