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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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die musikalische Tradition der deutschsprachigen Völker, erregte sich über die Unpünktlichkeit des Londoner Publikums und konnte es nicht ausstehen, dass die Leute manchmal während der Vorstellung mit Bekannten plauderten oder frühzeitig den Saal verließen. Auch diesmal hätte Walter sich geärgert, hätte er mitbekommen, wie Fitz einem Freund gegenüber Bemerkungen über die Figur der Sopranistin machte oder wie Bea sich mit der Herzogin von Sussex über Madame Lucilles Laden in der Hanover Street unterhielt, wo sie ihre Kleider kauften. Maud wusste sogar, was Walter sagen würde: »Die Leute hören der Musik erst zu, wenn es nichts mehr gibt, worüber sie sich die Mäuler zerreißen können.«
    Maud empfand genauso, aber sie und Walter waren in der Minderheit. Für den größten Teil der Londoner Gesellschaft war die Oper nur eine weitere Gelegenheit, ihre Kleider und Juwelen zur Schau zu tragen. Aber selbst sie schwiegen, als Don Giovanni am Ende des ersten Aktes drohte, Leporello umzubringen, und das Orchester einen wahren Sturm von Trommeln und Kesselpauken entfesselte. Dann entließ Don Giovanni Leporello mit klassischer Unbekümmertheit und ging federnden Schrittes davon, allen zum Trotz, die ihn aufhalten wollten.
    Der Vorhang fiel.
    Walter erhob sich, schaute zur Loge hinauf und winkte. Fitz winkte zurück. »Das ist von Ulrich«, sagte er zu seinem Freund Bing Westhampton, der ihm beim Opernbesuch Gesellschaft leistete. »Die Deutschen sind verdammt zufrieden mit sich selbst, weil sie die Amerikaner in Mexiko in Verlegenheit gebracht haben.«
    Bing war ein gnomenhafter, lockenköpfiger Schürzenjäger, der entfernt mit der königlichen Familie verwandt war. Er wusste nur wenig von Weltpolitik, da sein Hauptinteresse dem Spielen und Trinken in den Hauptstädten Europas galt. Er runzelte die Stirn und fragte verwirrt: »Was haben die Deutschen denn mit Mexiko zu schaffen?«
    »Gute Frage«, erwiderte Fitz. »Wenn sie glauben, sie könnten sich in Südamerika Kolonien unter den Nagel reißen, sind sie schief gewickelt. Das werden die Vereinigten Staaten nie zulassen.«
    Maud verließ die Loge, stieg die große Treppe hinunter und nickte höflich Bekannten zu: Die Londoner Gesellschaft war erstaunlich klein. Auf dem mit rotem Teppich ausgelegten Absatz stieß sie auf eine Gruppe um die schlanke, adrette Gestalt von David Lloyd George, dem Schatzkanzler. »Guten Abend, Lady Maud«, sagte er mit jenem Funkeln in seinen leuchtend blauen Augen, das immer dann erschien, wenn er mit attraktiven Frauen sprach. »Wie ich höre, ist der königliche Besuch zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen.« Er sprach mit dem nasalen Akzent von Nordwales, der viel weniger melodiös war als der des Südens. »Aber was für eine Tragödie in der Grube von Aberowen.«
    »Seine Majestät hat den trauernden Familien großen Trost gespendet«, sagte Maud. Bei der Gruppe stand auch eine attraktive Frau Mitte zwanzig. »Guten Abend, Miss Stevenson«, sagte Maud, »schön, Sie wiederzusehen.« Lloyd Georges Sekretärin und Geliebte war eine Rebellin, zu der Maud sich hingezogen fühlte. Außerdem war ein Mann stets dankbar gegenüber Leuten, die nicht nur seine Frau, sondern auch seine Geliebte mit Höflichkeit behandelten.
    Lloyd George wandte sich an die Gruppe. »Die deutschen Schiffe haben ihre Gewehre doch noch in Mexiko abgeliefert. Sie haben einfach einen anderen Hafen angelaufen und ihre Fracht still und heimlich entladen. Also sind neunzehn amerikanische Soldaten umsonst gestorben. Das ist eine schreckliche Demütigung für Woodrow Wilson.«
    Maud lächelte und berührte Lloyd George am Arm. »Würden Sie mir etwas erklären?«
    »Wenn ich kann, meine Liebe.«
    »Warum kümmert es überhaupt jemanden, was in Mexiko geschieht?«
    »Öl, meine Liebe«, antwortete Lloyd George. »Öl.«
    Jemand anders sprach ihn an, und er entschuldigte sich.
    Maud entdeckte Walter und traf unten an der Treppe mit ihm zusammen. Er verbeugte sich über ihrer behandschuhten Hand, und Maud musste der Versuchung widerstehen, sein blondes Haar zu berühren. Ihre Liebe zu Walter hatte den schlummernden Löwen körperlichen Verlangens in ihr geweckt, eine Bestie, die von ihren gestohlenen Küssen zugleich angestachelt und gequält wurde.
    »Wie gefällt Ihnen die Aufführung, Lady Maud?«, fragte Walter förmlich, doch seine braunen Augen sagten: Ich wollte, wir wären allein.
    »Sehr gut. Der Don hat eine wunderbare Stimme.«
    »Für meinen Geschmack

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