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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und nervös ging er auf und ab. Pech, dass Wilson nicht raucht, dachte Gus. Das hätte vielleicht seine Nerven beruhigt.
    Sie alle hatten gewusst, dass es zum Ausbruch von Gewalt kommen konnte, aber irgendwie war die Realität schockierender, als sie erwartet hatten.
    Sporadisch kamen weitere Details herein, und Gus gab sie an Wilson weiter. Die Nachrichten waren durch die Bank schlecht. Die mexikanischen Truppen hatten Widerstand geleistet und von ihrem Fort aus auf die Marineinfanteristen gefeuert. Dabei wurden die Truppen von Bürgern unterstützt, die aus Fenstern auf die Amerikaner schossen. Zur Vergeltung hatte die USS Prairie , die vor der Küste ankerte, ihre Dreizollgeschütze auf die Stadt gerichtet und sie unter Beschuss genommen.
    Die Verlustzahlen stiegen: sechs Amerikaner tot, acht, zwölf … und noch mehr waren verwundet. Doch das Kräfteverhältnis war eindeutig. Im selben Zeitraum waren bereits mehr als einhundert Mexikaner ums Leben gekommen.
    Der Präsident konnte es nicht fassen. »Wir wollen doch gar nicht gegen die Mexikaner kämpfen«, sagte er. »Wir wollen ihnen helfen. Wir wollen der ganzen Menschheit dienen.«
    Zum zweiten Mal an nur einem Tag fühlte sich Gus, als hätte man ihm einen Schlag verpasst. Der Präsident und seine Berater hatten nur die besten Absichten. Wie hatte es dann so weit kommen können? War es wirklich so schwer, in der internationalen Politik Gutes zu bewirken?
    Dann kam eine Nachricht vom Außenministerium: Der deutsche Botschafter, Graf Johann von Bernstorff, war vom Kaiser angewiesen worden, beim Außenminister vorstellig zu werden; nun wollte er wissen, ob es um neun Uhr morgen früh genehm wäre. Inoffiziell war bereits durchgesickert, dass der Botschafter wegen der Blockade der Ypiranga förmlichen Protest einlegen wollte.
    »Einen förmlichen Protest?«, sagte Wilson. »Wovon reden die, zum Teufel?«
    Gus wusste, dass die Deutschen das Völkerrecht auf ihrer Seite hatten. »Sir, es hat weder eine Kriegserklärung noch die Ankündigung einer Blockade gegeben, also sind die Deutschen im Recht.«
    »Wie bitte?« Wilson drehte sich zu Lansing um. »Stimmt das?«
    »Natürlich werden wir das überprüfen«, antwortete der Mann vom Außenministerium, »aber auf den ersten Blick würde ich Gus zustimmen. Unsere Maßnahme war ein Verstoß gegen das Völkerrecht.«
    »Und was bedeutet das jetzt?«
    »Dass wir uns entschuldigen müssen.«
    »Niemals!«, rief Wilson wütend.
    Aber sie taten es.

    Maud Fitzherbert war erstaunt, dass sie sich in Walter von Ulrich verliebt hatte. Andererseits wäre sie bei jedem anderen Mann nicht minder erstaunt gewesen. Schon viele Männer hatten sich von ihr angezogen gefühlt, besonders in ihrem Debütantinnenjahr, doch Mauds Eintreten für die Rechte der Frau hatte die Verehrer rasch abgeschreckt. Einige hatten versucht, sie an die Kandare zu nehmen – wie dieser ungepflegte Marquess Lowther, der zu Fitz gesagt hatte, mit einem »richtigen Mann« an ihrer Seite würde Maud ihren Irrtum rasch einsehen. Der arme Lowthie. Stattdessen hatte er seinen Fehler einsehen müssen.
    Walter hingegen fand Maud wunderbar, so wie sie war. Was immer sie tat, er staunte nur. Wenn sie extreme Ansichten kundtat, war er von ihren Argumenten beeindruckt; wenn sie die Gesellschaft schockierte, indem sie unverheirateten Müttern und deren Kindern half, bewunderte er ihren Mut, und es gefiel ihm, wenn sie gewagte Kleidung trug.
    Von den wohlhabenden Gentlemen der englischen Oberschicht, die zufrieden waren mit der Welt, so wie sie war, und vor allem mit sich selbst, war Maud gelangweilt. Walter war anders. Obwohl aus einer konservativen deutschen Familie, vertrat er erstaunlich radikale Ansichten. Von ihrem Platz in der hinteren Reihe der Opernloge ihres Bruders aus konnte Maud Walter nun mit einer kleinen Gruppe deutscher Botschaftsangehöriger unten in den Rängen sehen. Mit seinem sorgfältig gekämmten Haar, dem gestutzten Schnurrbart und der perfekt sitzenden Abendgarderobe sah er gar nicht wie ein Rebell aus. Selbst im Sitzen hielt er sich aufrecht und die Schultern gestrafft. Konzentriert schaute er auf die Bühne, während Don Giovanni, des Versuchs angeklagt, ein schlichtes Bauernmädchen vergewaltigen zu wollen, schamlos seinen Diener Leporello der Tat bezichtigte.
    Eigentlich, sinnierte Maud, war »Rebell« nicht das passende Wort für Walter. Auch wenn er ungewöhnlich offen war, zeigte Walter sich bisweilen sehr konventionell. Er war stolz auf

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