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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ist tot.«
    Maud blickte Otto an und sagte leise: »Die Klinik ist für vaterlose Familien, aber in der Praxis haben wir noch nie jemanden abgewiesen.«
    Greenward fragte Rosie: »Wie alt bist du?«
    »Elf.«
    Walter murmelte: »Ich dachte, Kinder unter dreizehn dürften noch nicht arbeiten.«
    »Das Gesetz hat so seine Schlupflöcher«, erwiderte Maud.
    Greenward fragte: »Und was arbeitest du?«
    »Ich putze in der Kleiderfabrik von Mannie Litov. Da lag eine Klinge im Dreck.«
    »Wenn du dich noch einmal schneidest, musst du die Wunde auswaschen und sauber verbinden, hörst du?«, sagte Greenward mit Nachdruck. »Du musst den Verband jeden Tag wechseln, damit er nicht zu schmutzig wird.«
    Die Mutter redete in schwerfälligem Russisch auf ihre Tochter ein. Walter konnte sie nicht verstehen, doch er verstand die Antwort des Kindes, das der Mutter die Worte des Arztes übersetzte.
    Greenward drehte sich zu der Krankenschwester um. »Machen Sie dem Mädchen bitte die Hand sauber, und legen Sie einen Verband an.« An Rosie gewandt sagte er: »Ich werde dir eine Salbe geben. Wenn dein Arm noch dicker wird, musst du nächsten Montag wieder zu mir kommen. Hast du verstanden?«
    »Ja, Sir.«
    »Du könntest deine Hand verlieren, wenn du die Entzündung schlimmer werden lässt.«
    Rosie traten Tränen in die Augen.
    »Tut mir leid, wenn ich dir Angst mache«, sagte Greenward, »aber du musst wissen, wie wichtig es ist, die Hand sauber zu halten.«
    Die Krankenschwester erschien mit einer Schüssel, in der eine antiseptische Flüssigkeit schwappte. Walter sagte: »Ich möchte Ihnen meine Bewunderung und meinen Respekt für Ihre Arbeit hier ausdrücken, Herr Doktor.«
    »Vielen Dank. Ich opfere gerne meine Zeit, aber wir brauchen Medikamente und medizinische Verbrauchsgüter aller Art. Deshalb ist Hilfe, die Sie uns geben können, mehr als willkommen.«
    »Wir sollten den Doktor jetzt weiterarbeiten lassen«, sagte Maud. »Draußen warten mindestens noch zwanzig Patienten.«
    Die Besucher verließen das Behandlungszimmer. Walter platzte beinahe vor Stolz auf die mildtätige, mitfühlende Maud. Die meisten Aristokratinnen wischten sich bloß eine Träne aus dem Auge, wenn man ihnen von kleinen Kindern erzählte, die in Fabriken ausgebeutet wurden; Maud aber war entschlossen, wirkliche Hilfe zu leisten.
    Und sie liebt mich, fügte Walter in Gedanken hinzu.
    »Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten, Herr von Ulrich?«, fragte Maud. »In meinem Büro ist es zwar ein bisschen beengt, aber ich habe eine Flasche vom besten Sherry meines Bruders.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber wir müssen leider gehen«, entgegnete Otto. Er zückte seine Brieftasche und zog eine Banknote hervor. »Bitte nehmen Sie diese bescheidene Spende für Ihre hervorragende Arbeit, Lady Maud.«
    »Das ist sehr großzügig von Ihnen«, sagte Maud.
    Walter reichte ihr ebenfalls einen Schein. »Ich hoffe, es ist auch mir erlaubt, ein wenig zu geben.«
    »Ich bin dankbar für alles, was Sie mir geben können«, erwiderte Maud. Walter hoffte, dass Otto den schelmischen Blick nicht bemerkte, den sie ihm dabei zuwarf.
    »Bitte richten Sie Earl Fitzherbert meine besten Grüße aus«, sagte Otto.
    »Ist Lady Maud nicht wunderbar?«, fragte Walter schwärmerisch, nachdem sie sich verabschiedet hatten und in Richtung Aldgate gingen. »Fitz bezahlt zwar alles, aber Maud macht die ganze Arbeit.«
    »Beschämend«, sagte Otto. »Absolut beschämend.«
    Walter blickte seinen Vater verdutzt an. »Was meinst du damit? Du siehst es doch gerne, wenn vornehme Damen den Armen helfen.«
    »Kranke Bauern mit einem Fresskorb zu besuchen ist eine Sache«, erklärte Otto, »aber es widert mich an, die Schwester eines Earls an so einem Ort mit einem jüdischen Arzt zu sehen.«
    »Oje.« Walter seufzte. Natürlich, Dr. Greenward war Jude. Vermutlich stammten seine Eltern aus Deutschland und hatten früher Grünwald geheißen. Walter hatte den Arzt erst heute kennengelernt und hätte seine Herkunft gar nicht bemerkt; außerdem kümmerte es ihn nicht. Für Otto hingegen – wie für die meisten Männer seiner Generation – spielte es eine große Rolle. »Vater«, sagte Walter, »der Mann arbeitet unentgeltlich. Lady Maud kann es sich nicht leisten, die Hilfe eines qualifizierten Arztes abzulehnen, nur weil er Jude ist.«
    Otto hörte gar nicht zu. »Vaterlose Familien! Wo hat sie die Phrase bloß her?«, sagte er verächtlich. »In Wahrheit meint sie damit die Brut von

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