Sturz in den Tod (German Edition)
Abschätzige.
»Dein Mann? Anton Bergmann?«, fragte Romy.
»Wie kommst du denn darauf? Mein Anton doch
nicht! Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.«
»Was soll ich denn damit anfangen? Ich weiß
nicht, wer mein Vater ist. Ich weiß nicht, wer du bist! Ich weiß nicht, woher
ich komme. Du musst es mir sagen!«
Der Kellner kam und nahm den Hundert-Euro-Schein,
den ihm Elisabeth Bergmann hinhielt. Er hatte an diesem Morgen wohl schon viele
Gäste im Café abkassiert, sein Portemonnaie war voller großer und kleiner
Scheine. Elisabeth Bergmann bot ihm ein üppiges Trinkgeld an. Als der Kellner
weg war, lehnte sie sich zu ihrer Tochter hinüber und nahm die Sonnenbrille ab.
»Ich muss gar nichts! Wir gehen jetzt auseinander
und gut. Du lebst dein Leben weiter. Ich lebe mein Leben weiter.«
Romy kamen die Tränen. Elisabeth Bergmann setzte
sich die Sonnenbrille wieder auf.
»Du bist mir etwas schuldig!«, beharrte Romy.
Ihre Mutter stand auf. »Ich bin dir gar nichts
schuldig! Ich hatte damals die Chance, ein neues Leben zu beginnen, eines, das
besser zu mir passt. Das war ich mir schuldig. Jeder
ist seines Glückes Schmied. Ich werde jetzt gehen. Und du, fahr wieder nach
Hause.«
Romy griff nach dem Handgelenk ihrer Mutter.
Elisabeth Bergmann machte sich los und wischte die Hand am Rock ab.
»Wenn ein kalter Wind zum Fenster reinweht, gibt
es zwei Möglichkeiten: Entweder man fragt sich, woher der Wind kommt, oder man
macht das Fenster zu. Hat mal jemand gesagt. Ich mache das Fenster zu.«
Elisabeth Bergmann nahm ihre Tasche, schob die dunkle Brille noch einmal hoch
und sah Romy an. »Schon verrückt, dass du ihr ähnlich siehst. Wie sehr habe ich
mir damals gewünscht, ein bisschen mehr so auszusehen wie Romy Schneider.«
Sie setzte die Brille zurück über die Augen und
ging. Romy blieb sitzen, auch noch, als sie ihre Mutter längst aus den Augen
verloren hatte.
***
Nina drückte die dreißigste Etage und holte aus ihrer
Tasche die Schlüssel für Frau Bergmanns Wohnung. Nachdem sie überprüft hatte,
dass niemand auf dem Flur war, ging sie eilig auf die Wohnung zu, schloss auf
und verschwand darin. Sie hatte noch etwa zwanzig Minuten Zeit. Zuerst nahm sie
sich den Stapel Unterlagen vor, den Alexander Bergmann vorhin herausgesucht
hatte. Nichts weiter als Rechnungsbelege von Einkäufen, das letzte Protokoll
der Eigentümerversammlung der Maritim-Residenz oder Stromabrechnungen. Auch das
Schreiben eines Maklers, der gern die Wohnung verkaufen würde, wenn sie eines
Tages zum Verkauf stünde.
Hatte Frau Bergmann überlegt zu verkaufen? Wollte sie irgendwo
anders ein neues Leben beginnen? Mit jemand anderem? Nina ärgerte sich erneut,
dass sie der alten Dame nicht besser zugehört hatte.
Sie nahm sich systematisch jeden Raum vor. Im Schlafzimmer sah sie
in den Nachtschränken nach, in jedem Fach im Kleiderschrank, in jeder
Handtasche, die auf dem Boden des Schrankes stand. Nichts. Alles auffällig
leer, nirgendwo Bargeld, kein Stück Schmuck. Nina hob die Matratze an. Nichts.
Sie hob die Brücke hoch, die auf dem Teppichboden lag. Nichts außer Staub. Nina
begann zu husten. Ihr Handy vibrierte. Jan, sie drückte seinen Anruf weg.
Zurück in der Küche, zog sie sich eilig einen Stuhl an die
Küchenzeile, stieg hinauf und sah hinter dem Geschirr nach, hinter den
Lebensmitteln. Nichts. Wonach suchte sie?
Im Wohnzimmer sah sie hinter jedes gerahmte Bild auf der Anrichte.
Sie nahm die Gemälde von den Wänden, denn alte Leute versteckten angeblich gern
etwas auf der Rückseite von Bildern. Doch auch dort war nichts. Sie klappte die
Enden der alten Brücken im Wohnzimmer hoch. Nichts.
Im Badezimmer benötigte Nina weniger als eine Minute, bis sie alles
durchgesehen hatte.
Die Polizei sollte Nina einfach in Ruhe lassen.
Frau Bergmann war vielleicht tatsächlich gesprungen, hatte aber
einfach nicht die Kraft gehabt, sich wie andere Selbstmörder abzustoßen, und
war deshalb so nah ans Haus gefallen.
Am besten wäre, sie könnte der Kripo sagen, was Alexander Bergmann
vermutete. Dass ein Mann hinter Elisabeth Bergmann her gewesen ist und sie sich
deshalb eigentümlich verhalten hat. Dieser Mann hatte vermutlich auch das Geld,
das in der Tasche gewesen war. Und den Schmuck, der hier überall herumgelegen
hatte.
Doch wenn Nina der Polizei davon erzählte, würden die sicherlich
glauben, sie hätte diesen mysteriösen Unbekannten erfunden. Um von sich
abzulenken. Nina hatte den Zeitpunkt längst verpasst, der
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