Sturz in den Tod (German Edition)
Mann zu folgen, der sich
auffällig oft in der Nähe ihrer Mutter aufhielt. Wer war er? Elisabeth
Bergmanns Sohn war er definitiv nicht. Für einen Enkel war er zu alt. War er
Elisabeth Bergmanns Freund? Etwa ihr Liebhaber? Dafür war er viel zu jung.
Manchmal ging der Mann wie in Gedanken versunken
in Richtung Hermannshöhe, trank dort etwas und blickte übers Meer. Nie bemerkte
er Romy, die sich unweit von ihm niederließ.
Eines Abends entdeckte Romy ihn, wie er im
Brügmanngarten während eines Konzertes eine Whiskey Cola nach der anderen
trank. Von dem Tisch aus, an dem er stand, blickte er immer wieder zum Maritim
hinauf, wo jedes zweite oder dritte Fenster erleuchtet war. Schließlich drehte
er sich mit dem Rücken zu dem Hochhaus, so als wolle er es nicht mehr sehen.
Als die Band gegen Mitternacht aufhörte zu spielen, drängten sich die Leute an
der Karibik-Bar, um kurz vor Ausschankschluss noch Getränke zu ordern. Romy
stellte sich wie zufällig an den Stehtisch des jungen Mannes. Er sah sie
überrascht aus glasigen Augen an und schien im nächsten Moment über ihre
Gesellschaft erfreut zu sein. Romy zog Cuba Libre durch ihren Strohhalm, ohne
den Blick des Mannes zu erwidern. Als ihr Glas leer war, bot er an, sie zu einem
weiteren einzuladen. Romy zierte sich ein Weilchen, dann nahm sie die Einladung
an. Der junge Mann wankte zum Tresen. Ziel erreicht, dachte Romy.
Sie sah zur wenige Meter entfernten Promenade.
Dass ihre Mutter hier auftauchen könnte, beunruhigte sie, andererseits fand sie
den Gedanken auch etwas aufregend. An der Bar rief die Tresenkraft »Last
Order«. Der Mann, den Romy auf Anfang vierzig schätzte, kam mit einem Tablett
voller durchsichtiger Plastikbecher zurück. »Last Order«, sagte er lächelnd und
nahm einen kräftigen Schluck. Er reichte Romy die Hand: »Ich bin Pasquale.«
Dabei rutschte ihm sein bunter Schal von der
Schulter und tauchte mit der Spitze in eines der Getränke. Pasquale zog ihn
heraus, sog daran und lachte. Auch Romy lachte und stieß ihren Plastikbecher
Cuba Libre gegen den mit Whiskey Cola von Pasquale. An einem anderen Stehtisch
stand eine Gruppe Männer. Zwei von ihnen sahen immer wieder zu Romy her.
Pasquale bemerkte das, und ihm schien zu gefallen, dass Romy ihn auserwählt
hatte.
Ein Flaschensammler suchte die Wiese und die
Müllbehälter nach Leergut ab. An seinem Fahrrad hatte er zwei große Lidl-Tüten
hängen, die bereits voller Pfandflaschen waren. Pasquale gab dem Sammler die
ersten leeren Becher, für die er jeweils einen Euro Pfand hinterlegt hatte. Der
alte Mann war so verdutzt über diese Großzügigkeit, dass er vergaß, sich zu
bedanken. Er lieferte die Becher ab und kam dann wieder an den Tisch, an dem
Pasquale und Romy standen. Er schlug Pasquale auf die Schulter.
»Danke, Alter!«
»Ja, das war sehr nett von dir«, meinte Romy.
Pasquale machte eine abwehrende Geste, wobei er
einen der noch vollen Becher umkippte. Romy fing den Becher auf, sodass
wenigstens die Hälfte des Inhalts gerettet war.
Sie musste Pasquale nicht viel fragen, um ihn zum
Reden zu bringen, denn er redete beinahe pausenlos. Manchmal lallte er dabei
oder hatte Probleme, die richtigen Worte zu finden. Er erzählte, dass er im
Maritim wohne, wobei er erst als er wirklich sehr betrunken war, erwähnte, dass
er nur eine winzig kleine Wohnung habe, die kleinste überhaupt – sechzehn
Quadratmeter inklusive Badezimmer. Er sei Schriftsteller, habe mal einen
Bestseller geschrieben, doch das sei lange her. Er nannte den Titel, als müsste
Romy diesen kennen. Als er bemerkte, dass sie das Buch nicht kannte, nannte er
seinen Namen – Pasquale Schöne. Als Romy auch diesen offenbar zum ersten
Mal hörte, trank er eine Whiskey Cola auf ex und sagte: »Macht nichts.«
Romy bemerkte, dass er sie zunehmend anders
ansah, dass er sie als Frau sah. Das gefiel ihr. Jüngere Männer hatten sie
bisher nicht interessiert, aber das durfte jetzt keine Rolle spielen. Pasquale
war hübsch. Typ großer Junge. In seiner Künstlerkleidung schien ein schöner
Körper zu stecken. Was Romy allerdings irritierte, waren die schmalen Hände,
denen man ansah, dass Pasquale kaum jemals körperlich gearbeitet hatte.
Sein Handy klingelte. Er legte unvermittelt einen
Finger auf seine Lippen, sah auf das Display und drückte den Anruf weg. Danach
trank er einen weiteren großen Schluck. Ein Rosenverkäufer kam zum wiederholten
Male vorbei und hielt Pasquale einen vollen Strauß dunkelroter Rosen
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