Sturz in die Vergangenheit
verstanden. „Immerhin trägst du Ilya. Wenn du zu flackern beginnst ...“
„Ich werde gut auf meine wertvolle Fracht achten“, sagte Matthias ernst. Als ob er das versprechen könnte! Aber er würde wirklich aufpassen. Sobald er sich erschöpft fühlen würde ...
Ilya, von den Sorgen seiner Mutter gänzlich unberührt, krähte munter vor sich hin.
„Aber jetzt erzähl weiter von Johann. Was hat es mit seiner Mutter auf sich?“
„Sie ist“, Mila stutzte, dann lachte sie, „sie war eine einfache Magd, wie ich. Drüben, in Greifenberg. Meinhard hatte Senta irgendwann zu seiner Mätresse gemacht. Wie viele andere vor ihr auch schon. Eine Weile hatte er immer seinen Spaß an ihnen und dann ...“ Mila machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es gab schließlich genug Mägde, die er in sein Bett holen konnte.“
„Aber bei Senta war es anders?“ Matthias war jetzt wirklich neugierig.
„Man sagt, sie sei sehr schnell schwanger geworden. Und als Meinhard sie daraufhin hatte wegschicken wollen, habe sie getobt und Meinhard damit zutiefst beeindruckt.“ Lächelnd hob Mila die Schultern. „Das soll glauben, wer mag. Aber das Ergebnis bleibt gleich. Meinhard hat Senta nicht weggeschickt, Johann wurde geboren. Der Graf muss haufenweise illegitime Kinder haben, die ihm völlig egal sind. Aber für Johann hat er von Anfang an persönlich gesorgt.“
„Nunta“, kommandierte Ilya, hopste noch einmal energisch in die Höhe, beugte sich dann seitlich neben Matthias' Kopf und sah ihm ernst in die Augen. „Selba dehn.“
„Dein Wunsch ist mir Befehl.“ Matthias hievte den Kleinen kopfüber nach unten, schwang ihn noch einmal hoch, was Ilya entzückt aufkreischen ließ, und setzte ihn ab.
Munter hüpfte er dann vor ihnen her.
Matthias schien es, als würde sich die Geschichte wiederholen. Ilya, illegitimer, aber beachteter und versorgter Sohn, weil Mila – eben Mila war. Die zu Johann gehörte wie Lida zu Iven.
Mist, erbärmlicher! Matthias hatte plötzlich keine Lust mehr auf dieses Thema. Mila sprach von sich aus auch nicht weiter und so liefen sie schweigend nebeneinander.
Als der Weg enger und steiler wurde, ließ Mila den Jungen auf ihren Rücken aufsitzen, nahm das Tragetuch, schlang es um ihn und verknotete es auf ihrem Bauch. Fasziniert sah Matthias dabei zu. So wie Ilya sich völlig selbstverständlich an seiner Mutter festgeklammert hatte, so routiniert war Mila vorgegangen. Bei beiden hatte dieser Ablauf völlig normal gewirkt, vertraut, perfekt aufeinander eingespielt.
Schweigend reichte ihr Matthias den Stock, schulterte die Bündel und folgte Mutter und Kind.
Kurz darauf keuchten sie beide.
Es wurde bereits dunkel, Matthias war schweißüberströmt, als Mila endlich stehen blieb. „Wir sind über dem Sattel. Weiter schaffen wir es heute nicht mehr, für den Abstieg brauchen wir unbedingt Licht. Wir sollten uns also besser nach einer geschützten Stelle umsehen, um sicher vor wilden Tieren zu sein.“
Im Fels hatten sie immer wieder kleine Höhlungen gesehen. In der Zukunft würden Schafe darin übernachten. Doch jetzt steuerte Mila zielsicher auf eine zu. „Die scheint mir geeignet.“
Mehr als eine Mulde war es nicht, aber darin hatte der Wind Laub zusammengeblasen. Was ein annehmbares Schlaflager abgeben würde.
„Wenn wir vor dem Eingang ein Feuer machen, sind wir auch vor hungrigen Wölfen oder Bären sicher“, entschied Mila kurzerhand, band das Tragetuch auf, ließ Ilya auf den Boden gleiten und bückte sich nach einem der herumliegenden Stöcke. „Aber dazu brauchen wir ausreichend Feuerholz.“
Das Tuch diente nun als Tragebehälter für Tannenzapfen, Kiefernwedel und kleine Äste. Sehr wandelbar, wie Matthias fand, sehr praktisch.
Kurze Zeit darauf hatten sie eine Feuerstelle gebaut. Fasziniert beobachtete Matthias, wie Mila es mit Hilfe zweier Steine und etwas Zunder, wie sie das bröselige Zeug aus ihrer Gürteltasche nannte, entflammen ließ.
Ilya, der eifrig mitgesammelt hatte, gähnte. Mila reichte ihm ein Stück Brot aus dem Bündel und legte ihn ins Laub. „Nochmal wickeln, dann kannst du schlafen“, murmelte sie, stand auf, suchte ein wenig herum – und kam schließlich mit einer Handvoll Moos zurück. Mit flinken Fingern löste sie die Windel, schüttete deren Inhalt weg, füllte das frische Moos ein, schlang die Windel um Ilya und verknotete sie über seinem Bauch. „So mein Kleiner.“ Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die Stirn. „Nun schlaf
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