Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
statt per E-Mail.
ICH : Ja, haufenweise. Aber was kriege ich dafür?
HOLLY : Was kann ich denn tun?
ICH : Darf ich dich sofort anrufen?
HOLLY : Warum versuchst du’s nicht einfach und guckst, ob ich rangehe?
Ich hätte wissen müssen, dass sie das sagt. Ich krabbelte aufs Bett und schaltete das Licht aus, bevor ich ihre Nummer wählte.
»Hallo«, sagte sie.
»Hallo.«
»Also …«
»Also … erzähl mir was Interessantes über die Welt der Schule. Ich hab das Gefühl, eine Ewigkeit nicht mehr da gewesen zu sein.« Auch das war eine wahre Aussage. Bis jetzt war ich erfolgreich.
»Na ja … Ich hab ein neues Projekt im Englisch-Leistungskurs, und das ist echt richtig cool. Wir sollen Tagebuch führen über die Liedtexte, die über den Tag hinweg am besten unsere Stimmungen spiegeln, und das eine ganz Woche lang.«
»Und was ist jetzt gerade dein Song?«
»›Vacation‹ von den Go-Gos. Kennst du den?«
Ich sang die erste Zeile. »Can’t seem to get my mind off you.«
»Ist das kitschig?«
»Nein, ich liebe diesen Song.«
»Und jetzt verrate mir deinen.«
Ihre Stimme entspannte sich, und ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie sie mit dem Kopf auf dem hellblauen Rüschenkissen und unter ihre weiße Decke gekuschelt dalag.
»Hmm … ›All Mixed Up‹.«
»Nie gehört«, sagte sie.
»Das ist von einer Band namens 311.«
»Du kennst dich gut aus mit Musik, was?«
»Ja, ich bin ein Musik-Freak.«
»Ich hab seltsame Lieblingssongs. Manchmal ist es mir richtig peinlich, es laut auszusprechen.«
»Zum Beispiel?«
»Es gibt so einen Song von Billy Joel: ›Don’t Ask Me Why‹.«
Ich sang die erste Zeile davon ins Telefon.
»Ich fasse es nicht, dass du den kennst.«
»Ich kann ihn sogar auf der Gitarre spielen.«
»Nein!«
»Doch, wirklich. Irgendwann spiele ich ihn dir mal vor.«
»Cool.«
Okay, mit diesem Song habe ich ein bisschen gemogelt, aber ich konnte doch nichts dafür, dass ich ihren Lieblingssong kannte und ihn schon extra auf der Gitarre gelernt hatte, um die 09-er Holly zu beeindrucken.
Als ich an diesem Abend ins Bett ging, war ich mehr bei mir, als es seit langer Zeit der Fall gewesen war. Ich würde es Adams weitaus fähigerem Hirn überlassen, über die neu erworbenen Informationen nachzudenken, und seinen Rat befolgen und das Spielchen meines Vaters weiter mitspielen. Bis auf weiteres hing ich in diesem seltsamen Fegefeuer fest und wartete darauf, dass irgendetwas oder irgendjemand mir sagte, was ich als Nächstes tun sollte.
20
Sonntag, 7 . Oktober 2007
Ich weiß, ich soll eine Weile nicht auf Zeitreise gehen. Angesichts der Tatsache, dass ich mich nach dem letzten Sprung tagelang wie tot fühlte, musste ich Adams Anordnung befolgen. Aber als ich heute Morgen aufwachte, dachte ich an Courtney und Dinge, von denen ich wünschte, ich könnte sie irgendwie geradebiegen … wie diese Sache aus der siebten Klasse. Da wir ja nicht nur Geschwister, sondern auch Klassenkameraden waren, wusste ich alles, was mit meiner Schwester passierte. Aber einiges davon wollte ich gar nicht wissen.
Zum Beispiel die Probleme mit ihrem nervösen Magen: Immer wenn wir eine Arbeit schrieben oder einen Auftritt mit der Band hatten, bekam sie schreckliche Blähungen oder Durchfall. Dann sah ich sie zur Toilette wetzen und wusste haargenau, was los war. Eigentlich dachte ich nicht viel darüber nach und machte es auch nie zum Thema, bis mein bester Freund, der offenkundig und unerwidert in Courtney verknallt war, eines Tages beobachtete, wie sie unmittelbar vor ihrer Präsentation beim Forscherwettbewerb aus der Turnhalle rannte. Er fragte mich, ob sie krank sei, und ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, platzte ich heraus: »Ach, der fehlt nichts. Sie furzt nur nicht gern in Gegenwart anderer Leute.«
Als mein Freund anfing zu kichern, wusste ich sofort, was ich angerichtet hatte, ließ aber die eine Sekunde, in der ich es noch hätte zurücknehmen oder sagen können, ich hätte Quatsch erzählt, ungenutzt verstreichen. Ich lachte einfach mit, und ein paar Wochen danach hatte Courtney den Spitznamen Pupsie weg. Es war furchtbar.
Schwer zu glauben, dass ich mich, nach allem, was ihr und mir passiert ist, wegen eines blöden Furz-Witzes in der Mittelstufe wie der weltgrößte Mistkerl fühle. Das Schlimmste daran ist, dass ich ihr nie erzählt habe, dass ich dieses Gerücht unbeabsichtigt in Umlauf gebracht hatte. Wir haben nie darüber gesprochen. So als hätte sie
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