Sturz ins Glück
sich nach einem solchen Segen gesehnt.
„Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, dass ich Sie nicht wiedersehen werde.“ Henrys Gesichtsausdruck war so ernst, dass es Adelaide regelrecht Angst machte. Würde er ihr denn keinen Heiratsantrag machen? War er etwa so unsicher, dass er sich nicht traute, sie zu fragen, ob sie ihn ihren Schülern vorziehen würde?
Ja. Das muss es sein.
Wie konnte sie ihn ermutigen, ohne zu forsch zu wirken? Adelaide biss sich auf ihre Unterlippe und lehnte sich vor. „Sie haben mir schon so viel Interessantes von Fort Worth berichtet – den Konzerten, den modernen Hotels, den Empfängen der reichen Firmenbesitzer –, dass ich glaube, dass Sie sich in dieser Stadt sehr wohlfühlen werden.“ Sie senkte ihren Blick. „Ich würde mich glücklich schätzen, einen solchen Ort meine Heimat nennen zu dürfen.“
Adelaide schielte in Henrys Richtung, um seine Reaktion zu sehen. Das traurige Lächeln blieb auf seinem Gesicht. Nach einem Jahr Bekanntschaft hätte sie eigentlich in der Lage sein müssen, seine Stimmung besser einzuschätzen, doch um die Wahrheit zu sagen, hatte sie kaum mehr als ein paar Wochen in seiner Gesellschaft verbracht. Das kam dabei heraus, wenn man sich mit einem fahrenden Händler verabredete. Mit dem Zug unterwegs zu sein, war sein Beruf. Sie hatte ihn höchstens ein- oder zweimal im Monat gesehen. Doch schon diese kurze Zeit hatte sie davon überzeugt, dass die Vorsehung ihn zu ihr gebracht hatte.
Henry seufzte schwer und entzog ihr seine Hände, als er sich zurücklehnte. „Ich wünschte, ich könnte Sie mitnehmen.“
Warum machst du es nicht einfach? Adelaide ballte die Hand, die er eben noch gehalten hatte, zur Faust. Will er mich verlassen?
Bevor die Panik sie überwältigen konnte, lächelte Henry – ein sanftmütiger Gesichtsausdruck frei von Sorge und Enttäuschung. „Wer weiß?“, sagte er. „Vielleicht bringt uns das Schicksal wieder zusammen?“
Adelaide entspannte ihre Hand und atmete langsam wieder ein. Alles würde gut werden. Bestimmt. Etwas hielt Henry zurück, doch ihm lag immer noch etwas an ihr. Sonst hätte er wohl kaum auf eine gemeinsame Zukunft hingewiesen. Vielleicht war das nur Gottes Art, ihre Hingabe zu prüfen.
Als sie nun wieder Henry anblickte, richtete sie sich auf und nickte. Eines Tages würden sie sich wiedertreffen. Sie würde darauf warten. Es war egal, was ihn daran hinderte, ihr heute Abend einen Antrag zu machen. Sie würden es überwinden. Das Glück, nach dem sie sich immer gesehnt hatte, war zum Greifen nah. Sie würde es sich nicht von den hundert Meilen oder einem zögernden Verehrer kaputt machen lassen.
Kapitel 1
Einen Monat später …
Auf der anderen Seite dieser Gleise wartete das größte Abenteuer ihres Lebens. Oder die größte Demütigung, die sie jemals zustande gebracht hatte. Wie auch immer, es gab keinen Weg zurück.
Adelaide Procter atmete tief und entschlossen ein … und hätte bei dem Gestank nach Rinderdung, der sie umgab, beinahe gewürgt. Sie hüstelte und zog ihre Nase kraus, doch unbeirrt schritt sie voran. Es war egal, dass Fort Worth nach Mist roch und dunkle Wolken den Nachmittagshimmel verdunkelten. Sie war hierhergekommen, um ihren Traum zu verwirklichen, und nichts würde sie davon abhalten können.
Adelaide schob sich vorsichtig durch die Menschen, die sich auf dem Bahnsteig drängelten. Heimkehrende Reisende schlossen geliebte Menschen in die Arme. Bahnangestellte entluden Koffer mit Briefen und andere Fracht. Hotelpersonal pries den jeweiligen Arbeitgeber bei den Neuankömmlingen an und versprach gehobene Unterkünfte. Adelaide ignorierte sie alle. Die innere Unsicherheit trübte ihre Begeisterung.
Plötzlich umwirbelte sie eine Windböe und zerrte an ihrem Strohhut. Sie drückte ihn zurück auf den Kopf und blieb einen Augenblick stehen, um ihn wieder richtig festzustecken. Während sie noch mit ihrer Hutnadel beschäftigt war, stieß die Lokomotive hinter ihr einen gewaltigen Schwall weißen Dampfes aus und setzte sich langsam in Bewegung. Verloren in der Menschenmenge und unsicher, wohin sie sich wenden sollte, vermisste Adelaide schon jetzt das ruhige Leben einer Kleinstadt. Schließlich ließ sie sich von den schnatternden und gestikulierenden Menschen um sich herum weitertreiben.
Schon spürte die junge Frau, wie die ersten Finger des Heimwehs nach ihr griffen. Vor wenigen Stunden erst hatte sie Cisco verlassen. Tante Louise hätte bestürzt den Kopf
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