Styling deluxe / Roman
ihrer Wut oder Missbilligung nicht Ausdruck verleihen, denn im selben Moment begann Finn hastig zu reden, und sie vermutete, dass er nicht mit sich selbst, sondern mit einer Stimme in seinem Kopfhörer sprach.
Vielleicht wird Finn über das Headset ferngesteuert,
überlegte Annie, als sie ihm aus dem Hotel und über die Straße in eine kleine Bar folgte. Es war eine nette Bar; unter normalen Umständen hätte sie sich gern in eine Bar wie diese mit traditionellem Holzfußboden und Armaturen aus Holz, Leder und Messing einladen lassen. Die Atmosphäre war ruhig und gemütlich. Aber die Vorstellung von einem Plauderstündchen mit Finn über ihr beschissenes Hotel und ihre neue Stellung als Garderobiere war nicht gerade verlockend, so hübsch die Umgebung auch sein mochte.
»Entschuldige, ich muss jetzt aufhören«, ließ Finn seinen Anrufer wissen und wandte sich mit verkrampftem Lächeln Annie zu. »Was willst du trinken?«, fragte er.
»Ich brauche eigentlich keinen Drink. Eine Dusche wäre mir lieber«, antwortete sie.
»Nein, nein, ich möchte dich zu einem Drink einladen. Glas Wein?«, schlug er vor.
»Na ja … okay«, stimmte sie zögernd zu.
Was zum Teufel ging hier vor? Wollte er sich womöglich entschuldigen? Vielleicht hatte er sich den Tina-Film noch einmal angesehen und erkannt, wie phantastisch er war? Vielleicht durfte sie dann auch ins Flugzeug …
Zwei Gläser Wein in den Händen, führte Finn Annie jetzt zu einer Nische im hinteren Bereich der Bar.
Kaum hatte sie Platz genommen, legte Finn los. Er wollte sich eindeutig nicht lange aufhalten.
»Annie, es tut mir wirklich leid«, hob er an, »aber wir müssen dich gehen lassen.«
Dich.
Gehen.
Lassen.
Gehen? Im Geiste wiederholte sie die Frage.
Wohin gehen?,
überlegte sie in Panik.
Gehen lassen?
Aber sie wollte nicht gehen. Hatte bestimmt nicht darum gebeten.
Dich.
Gehen.
Lassen.
Was sollte das?
Alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. Selbst Finns Worte schienen vereinzelt, viel zu langsam, mit langen Pausen dazwischen von seinen Lippen zu tropfen, so dass Annies Gedanken Zeit hatten, sich zu überschlagen.
Wollte er sie feuern? Wurde ihr die Fernsehshow unter den Füßen weggezogen? War jetzt alles vorbei?
»Mich gehen lassen?«, wiederholte sie völlig verwirrt, und sah ihn irritiert an.
»Es tut mir so leid«, sagte Finn noch einmal, »aber das Budget wird knapper und knapper. Jeden Tag arbeite ich mit weniger Geld als am Tag zuvor.«
»Aber du kannst doch kaum Geld sparen, indem du mich loswirst … Ich habe einen Vertrag …«, platzte sie heraus.
Die Gesamtsumme von dreitausendsechshundert Pfund stand ihr doch trotzdem zu, oder? Sie hatten zwei Drittel des Drehplans abgehakt, und außerdem hatte sie sich den ganzen Weg bis hinauf nach Glasgow bemüht.
»Natürlich wirst du für geleistete Arbeit bezahlt«, erklärte Finn vorsichtig, »aber du wirst sicher einsehen, dass … hm … wir dir gemäß den vertraglichen Vereinbarungen nicht mehr bezahlen müssen.«
Ein paar Sekunden herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Trotz des schrecklichen flauen Gefühls im Magen hörte Annie sich fragen: »Aber wird das nicht ein bisschen merkwürdig rüberkommen? Sieh mal – in der ersten Episode schickst du mich einkaufen und lässt mich die Garderobe der Kandidatinnen durchsehen, und dann soll ich einfach verschwinden?«
»Nun, ja, das werden wir ansprechen müssen«, faselte Finn. Er griff nach seinem Glas und trank einen großen Schluck Wein.
»Du willst mich rausschneiden!«, fuhr Annie ihn an. »Du willst all die cleveren Outfits verwenden, die ich ausgesucht habe, aber mich rausschneiden, stimmt’s?«
Plötzlich gab Finn sich total mitfühlend, als wäre er ihr bester Freund – diese Ratte!
»Es ist schrecklich, es ist einfach nur schrecklich!«, pflichtete er ihr bei. »Und es tut mir so furchtbar leid. Wenn ich geahnt hätte, wie eng der finanzielle Spielraum sein würde, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, drei Moderatorinnen einzusetzen. Ich kann mir ja kaum eine leisten. Miss Marlise hat einen wasserdichten Vertrag, und zum Glück hat Svetlana sich zum Verzicht auf ihr Honorar bereit erklärt. Ich muss sie behalten, weil sie uns so große und nützliche Publicity einbringt …«
Während Finn sich weiterhin in Betteln und Entschuldigungen erging, konnte Annie nur denken: Marlise hat einen wasserdichten Vertrag, und Svetlana ist bereit, umsonst zu arbeiten!
Annie Valentine, du bist das schwächste
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