STYX - Fluss der Toten (German Edition)
keinen Boden unterhalb des Lochs. Diese Tiefe versetzte Fetterman in Staunen, der nie etwas von diesem Loch gehört hatte und normalerweise drüben beim Riff oder weiter draußen auf See tauchte, weil der Strand wenig interessant für ihn sei. Nun aber war Fetterman ganz begierig darauf, sich in seinen Taucheranzug zu begeben und hinabzusteigen – jedoch nicht tiefer als 70 Schritte, wie er meinte, für einen tieferen Tauchgang sei er gar nicht ausgerüstet. Dass er im selben Moment schon darüber nachdachte, am nächsten Tag mit einem Mischgas hinabzutauchen, stand für Hendricks und mich außer Frage.
»Pass aber auf wenn die Fischmonster kommen«, sagte Hendricks und wir lachten.
Im Übrigen kann ich heute nicht mehr sagen, was wir überhaupt zu finden erhofften, wofür wir rausgefahren waren. Wollten wir durch einen Hai Gewissheit erhalten? Wollten wir ein komisches Gebilde im Wasser finden, vielleicht einen alten Einkaufswagen, den Rost und Algen zu einem Wesen geformt hatten, das im dunklen Wasser und durch die Augen eines Kindes gesehen leicht zum »Es« werden konnte? Oder waren wir inzwischen selbst neugierig geworden, welche Tiefen dort unten lauerten? Worauf Fetterman jedoch tatsächlich stoßen sollte, damit hatte keiner von uns gerechnet.
Fetterman tauchte hinab, während ich die Lotleine festhielt. Falls Fetterman etwas fand, wollte er den Gegenstand an die Leine binden und uns Zeichen geben, damit wir die Leine einholen konnten. Wir rechneten nicht mit Zwischenfällen, aber starrten trotzdem wie gebannt auf die Stelle, wo das Lot ins Wasser stach, und waren, wie ich an Hendricks nervösen Regungen und seinen Fragen merkte, beide gespannt, was Fetterman wohl ans Tageslicht befördern würde.
Dann aber zuckte das Lot so plötzlich und kräftig in die Tiefe, dass es mir aus der Hand gerissen wurde. Das Boot kippte beinahe um und hätte Hendricks mich nicht festgehalten, wäre ich über Bord gegangen. Sofort griff ich nach der Leine und zog aus Leibeskräften. Auch Hendricks zog mit ganzer Kraft, aber von unten schien ebenfalls etwas zu ziehen und zu zerren. Mühsam erkämpften wir uns Fuß um Fuß, doch war die gesamte Leine ausgeworfen worden und wir hatten erst 10 Schritte eingeholt – wer aber konnte sagen, in welcher Tiefe sich Fetterman inzwischen befand?
Wir zogen so kräftig und mit dem ganzen Gewicht unserer Körper, dass Hendricks in dem Moment, wo unser unterseeischer Widersacher von der Leine abließ, hintenüber ins Wasser fiel. Ich selbst schlug gegen die Bootswand und zog mir eine üble Platzwunde am Hinterkopf zu, welche ich aber erst später bemerkte, denn gleich nach dem Sturz sprang ich wieder auf die Füße und holte den Rest der Leine ein – noch 60 Schritte –, obwohl dort nichts mehr dran hing, wie ich merkte – noch 40 Schritte –, da kletterte Hendricks wieder ins Boot – noch 20 Schritte –, und plötzlich durchbrach auch Fetterman die Wasseroberfläche. Hendricks und ich packten ihn unter den Armen und zogen ihn an Bord. Wir nahmen ihm die Atemmaske ab und fragten, ob er verwundet sei. Doch Fetterman sagte, er sei nicht weiter verletzt und das Blut, das ihn umgab, sei größtenteils von dem Wesen, das ihn angegriffen habe.
Ich versuche nun, den ersten Bericht, den Fetterman gleich im Boot erstattete, so genau wie möglich wiederzugeben.
»Ich weiß nicht, was das war. Es hat mich plötzlich gepackt. Ich habe gar nicht gesehen, wie es an mich rangekommen ist. Es hatte zwei Arme mit Klauen dran und hat mich damit von hinten umklammert, aber im nächsten Moment hatte ich mein Messer in der Hand und konnte mich irgendwie von ihm befreien und zu ihm umdrehen. Und dann sah ich es, dieses hässliche Viech, das halb Mensch und halb Fisch war und mich aus ekligen Fischaugen anstarrte. Mit einem Mal hat es angefangen auf mich einzuprügeln und ich habe mit meinem Messer zurückgestochen, aber es hat immer weiter auf mich eingeschlagen. Ich konnte ihm noch ein paar Schnittwunden zufügen, dann aber traf mich ein so wuchtiger Schlag am Kopf, dass ich zurückgeworfen wurde und für einen kurzen Moment die Besinnung verlor. Da packte es plötzlich nach meinem Fuß und wollte mich nach unten ziehen, aber irgendwie bekam ich die Leine zu fassen und gleich darauf habt ihr gezogen. Ich habe mich mit beiden Händen an die Leine geklammert, mein Messer war fort, und da habe ich nur noch wie wild nach dem Vieh getreten, um mein anderes Bein freizubekommen. Aber sein Griff war zu fest.
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