STYX - Fluss der Toten (German Edition)
Erkenntnis, dass ich bis auf ein paar Fetzen eingebrannten Synthetik-Gewebes nackt bin, schockiert mich fast noch mehr als die Gewissheit, dass mein Fleisch augenscheinlich bis auf die Knochen heruntergebrannt ist.
Panik steigt in mir hoch.
Hilfesuchend schaue ich mich um, sehe Schemen am Flussufer stehen. Sie scheinen mich nicht wahrzunehmen. Verzweiflung schnürt mir die Kehle zu. Ich ringe mir ein Kopfschütteln ab, bevor panische Krämpfe nach meinen Körper greifen. Der Mann wartet bis es vorüber ist. Ich bilde mir ein, so etwas wie Bedauern in seinem Blick zu erkennen.
»Dann wirst du wohl schwimmen müssen.«
Ich nicke abwesend. Doch als ich meinen Fuß in das Wasser strecke, explodiert die Welt um mich. Ich spüre mein Fleisch brennen - schreie, schreie, schreie.
Spüre den Moment meines Todes - immer und immer wieder. Etwas kriecht mein Bein hinauf. Kurz sehe ich das Gesicht einer Frau, dunkel und fahl. Sie wirkt so schwarz wie das Wasser des Flusses. Dann verliere ich mich, um mich herum Flammen. Zu meinen eigenen Schreien gesellen sich die einer anderen Frau. Ich kann sie nicht zuordnen, doch steigern sie meinen Schmerz und meine Verzweiflung ins Unermessliche. Es fühlt sich so unglaublich falsch an. Ich merke, wie ich das Gleichgewicht verliere. Brennende Stützbalken brechen auf mich nieder. Ich taumele zurück ...
Dann ist alles still.
Ich liege auf dem Steg. Der Fährmann betrachtet mich immer noch; wartend, still, müde.
Der aus dem Wasser gezogene Fuß ist von einer Eisschicht überzogen. Als ich aufzustehen versuche, zersplittert er. Ich schreie, eher vor Schreck denn vor Schmerz, denn es tut nicht weh.
Gehetzt sehe ich mich um.
Etwas ... jemand ... fängt meinem Blick. Am anderen Ufer steht eine Frau. Sie ist groß, blondhaarig und trägt ein langes, weißes Kleid. Ich sehe ihr Gesicht nicht, weiß aber, dass ich sie kenne - weiß, dass sie ebenso verbrannt sein müsste, wie ich es bin. Ich begreife, dass ich sie nicht hier sehen will. Nicht will, dass sie hier ist.
Ich möchte bei ihr sein, aber nicht hier !
Ich rufe ihr zu, doch sie scheint mich nicht zu hören. Ich schreie bis mir die Stimme versagt und ich weinend in mich zusammensinke.
»Sie ist bereits drüben«, sagt der Fährmann. Seine Stimme klingt fast sanft. »Du solltest schwimmen, Kind.«
Ich schüttele nur den Kopf.
»Ich werde sterben«, wimmere ich und halte meinen zerbrochenen Fuß.
Der Fährmann betrachtet mich lange. Er kann mir nicht helfen. Ich fühle es.
Apathisch krieche ich erneut auf den Rand des Steges zu. Doch dieses Mal strecke ich nicht nur den Fuß ins Wasser. Mit geschlossenen Augen falle ich hinunter. Die fahle Frau schießt durch die Fluten, hält mich in ihren Armen. Sie drückt mich. Erst sanft, liebkosend, wie eine Mutter, dann immer fester. Ich spüre meine Knochen brechen, meinen Schädel splittern. Feuer tanzt über meinem Fleisch. Ich fühle eine klebrige Flüssigkeit auf meinen Wangen verdampfen.
Feuer. Überall Feuer.
Ich huste vor Rauch, taumle, verliere die Orientierung.
Wo ist sie?
Flüchtig meine ich, irgendwo brennendes, blondes Haar zu sehen. Ich stürze darauf zu. Es knarrt über meinem Kopf. Brennendes Gebälk stürzt auf mich ein. Ich schreie, schreie ihren Namen. Es wird schwarz.
Als ich zu mir komme, rieche ich Rauch. Flammen tanzen über meinen Körper. Ich spüre, wie sich der letzte Rest Haut von meinem Fleisch abschält. Jetzt tut es weh.
Wo ist sie?
Wieder schreie ich ihren Namen.
In einem letzten Aufbegehren meines Wesens erinnere ich mich an das, was der Fährmann mir zurief, als ich ins Wasser fiel: »Über den Styx muss jeder alleine.«
Der Obolus
Susanna Montua
Die ganze Gegend rings um den Friedhof hatte an Anmut und Eleganz verloren.
Sie hinterließ den Eindruck, als würde über der Welt ein trister, grauer Schleier liegen. Kein Vogel zwitscherte, keine Grille zirpte. Nicht einmal der Wind pfiff eine leise Melodie.
Und dennoch herrschte Aufruhr.
Vom Friedhof kommend, bahnten sich etliche Gestalten den Weg hinab zum Ufer des Styx. Einem Fluss, genauso tot wie die ganze Gegend.
Sie liefen im Gleichschritt, die Häupter gesenkt, gehüllt in schlichte, aber hübsche Gewänder. Niemand sprach ein Wort, keiner sah vom Boden auf. Gesteuert durch eine fremde Macht. Mit dem Ziel, das Ufer zu erreichen.
Helena folgte der Gruppe. Wehmütig blickte sie zurück zu den Menschen, die zu ihrem Abschied gekommen waren. Ihre Eltern standen in vorderster Reihe. Ihre
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