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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Schauplatz unserer finsteren Studien, trugen mit übertriebenem, berauschtem Pathos den Verblichenen makabre Gedichte vor und befühlten mit zitternden Händen die grauen Grabsteine. Ja, sogar in die Grüfte wagten wir uns mit heftig schlagenden Herzen vor und genossen es, wenn ewig eingeschlossene Luft unsere Gesichter liebkoste und unsere Geruchsnerven zum Aufheulen brachte. Und – ich schäme mich nun es zuzugeben – die größte Befriedigung war es für uns, direkt in die erkalteten Gesichter und die leeren Augen der Hinübergegangenen zu blicken.
    Bei all unseren Tätigkeiten aber war Wolfgang mir immer um einige Schritte voraus, stets überragten seine Begeisterung und seine Hingabe die meine um Längen. Deshalb wohl zeitigten unsere Bemühungen bei ihm eine weitaus stärkere Wirkung. Oft lauschte ich wie gebannt, wenn er mit vor unsagbarem Schrecken aufgerissenen Augen berichtete, was er soeben in seinen Visionen erblickt hatte: Verschwommene Landschaften, deren Umrisse dennoch messerscharf ins Auge schnitten, erfüllt von diffusem weißen Licht und bewohnt von in Tücher gehüllten Gestalten, um nur die harmloseren zu nennen. Um jene anderen zu verschweigen, für deren Beschreibung Wolfgangs menschliche Sprache nicht ausreichte, die seinen Verstand Stück für Stück auffraßen und mich schon beim Zuhören in tiefste Angst versetzten.
    Noch heute martern seine Worte über jene Dinge meinen Geist, sind mir noch immer so schrecklich präsent: »Und über allem – brennend blaues Licht speiend – einer Sonne gleich, die stets in dämonische Ewigkeit unterzugehen scheint, die den Verstand blendet und verborgene Ängste aus dem Schatten reißt, steht es. Es sieht aus wie ein Auge, kein menschliches, eher ein Schaufenster in die Abgründe kosmischer Leere – und natürlich ist es kein Auge, es ist eine Ordnung , ja eine Ordnung, eine allumfassende diabolische Zwangsläufigkeit, die keine Unregelmäßigkeit duldet!«
    Unsere dunklen Eskapaden begingen wir allerdings nicht nur auf geweihter Erde, sondern wir schleppten sie wie einen frischen Leichnam in alle Bereiche unseres Lebens. Tagsüber schliefen wir meistens; und wachten wir, so hielten wir uns häufig in der Feuchtigkeit des Kellers auf, oder wir wandelten zwischen den drohend aufragenden Bäumen des nahen Waldes umher.
    Unser Haus hatten wir – hatte Wolfgang – in ein begehbares Abbild der menschlichen Todes- und Geisterangst verwandelt: Nur schwaches Licht fiel durch die schweren schwarzen Vorhänge, die vor den Fenstern hingen, die Wände verunzierten grässliche Gemälde offenbar geisteskranker Künstler und, ungleich schrecklicher, einige grinsende Totenschädel. Und all das, das gesamte Bild des Grauens, war untermalt und gesättigt von Wolfgangs disharmonischem Saitenspiel. Manchmal saß er, in sein Spiel vertieft, ruhig und beinahe apathisch in der Ecke, oft jedoch sprang er, das Instrument quälend, wie rasend durch das Zimmer.
    Ich saß in solchen furchtbaren Momenten meistens nur still in einem der großen, mittlerweile staubigen Sessel, vor mich hinstarrend, um Ruhe ringend, und von nervenzerreißendem Entsetzen und Verzückung gleichermaßen erfüllt. Zeit spielte für uns keine Rolle mehr, sie schien überhaupt nicht mehr zu existieren, draußen lag sowieso alles in weißem Nebel. Mein Gefühl aber sagte mir, obwohl ich an mir keinen Beweis für eine derart abseitige Theorie finden konnte, das Jahre, ja, Äonen vergangen sein mussten. Einzig Wolfgangs Tagträume nahmen unaufhörlich zu, bis normale Gespräche mit ihm zur Schwierigkeit wurden. Auch ich glaubte nun immer häufiger, etwas Anderes – etwas Frem-des – erahnen zu können hinter den Bildern, die meine Augen lieferten.
    Als unsere Perversionen schließlich ihren Höhepunkt erreichten, war unser Werk schon so weit gediehen, dass sie uns als völlig natürlich erschienen. Mittlerweile waren wir dazu übergegangen, uns nicht mehr gelegentlich mit Hilfe von Opium durch die Pforte zum »Anderen Reich« zu schleichen, sondern sie unter Einsatz großer Mengen Kokain aufzustoßen. Doch verwendeten wir hierzu kein reines Kokain. Stattdessen bedienten wir uns eines dunkleren Gemisches aus jenem weißen Pulver und – wofür es keine Sün-denvergebung geben kann – den Asche gewordenen Überresten derjenigen, denen zu ewiger Ruhe zu verhelfen eigentlich Wolfgangs Aufgabe war.
    Auch als jene entsetzliche Nacht kam, war unser Bewusstsein benebelt. Ich saß zusammengesunken in einer Ecke,

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