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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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an ihr Kinn und hob es an, um ihr Gesicht zu betrachten. Der Blick seiner blauen Augen nahm Kassandra gefangen. Sanft streichelte er ihren Rücken, ließ seine Hände über ihre Wangen gleiten, über ihre Schultern, ihren Nacken. Seine Berührungen jagten einen Schauer über ihren Rücken und sie konnte nicht sagen, ob vor Wohlgefühl oder Furcht.
    »Und fürwahr«, hörte sie Apollons Stimme an ihrem Ohr. »Sie ist eines Gottes wert.«
    Dann lachte er.
    Ein leises, helles Lachen.
*
»Mein Kind, was tust du hier?«
Kassandra blieb nicht stehen und sah sich nicht um.
In der Ferne loderte der Horizont in geisterhaftem Licht.
»Du weißt, dass dies nicht dein Weg ist.«
»Es ist der Weg, den alle Menschen einmal gehen müssen«, erwiderte sie leise. Ihr Mund war trocken, ihre Stimme klang rau und kratzig. Sie zuckte zusammen und dachte schmerzlich daran, wie sehr ihr Vater ihre klare Singstimme geliebt hatte.
»Ja, mein Kind, das ist wahr. Aber bist du das denn noch? Ein Mensch?«
Wieder lachte der Gott.
Mit einem Mal erschien er vor Kassandra. Der gleiche schöne Mann, der vor all den Jahren auf den Stufen des Tempels in Troja gesessen hatte.
»Hast du denn nichts gelernt, meine Liebste?«
Wie gelähmt blieb Kassandra stehen und sah zu ihm auf.
In dieser Einöde schien er in einem bleichen Licht zu strahlen, umgeben von einer Aura des Lebendigen. Er trat einen Schritt auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Die Wärme seines Körpers sickerte durch den dünnen Stoff ihres Kleides.
Dennoch fror sie.
Es war nicht die Wärme, die man bei der Umarmung eines Menschen verspürt, es war etwas gänzlich anderes. Wie ein Nachhall von Sonnenstrahlen, die die glatte Haut des Gottes aufgesogen hatte.
»Ich bedaure sehr, dass dir in Troja so viel Leid geschehen ist. Es war nötig, damit die Geschichte ihren Lauf nehmen konnte.«
Mit unendlich weichen Lippen küsste er ihren Hals. Seine Hände lagen auf ihren Hüften, dann ließ er sie ihren Bauch hinaufwandern und dort verharren.
*
    »Meine Herrin? Was ist mit Euch? Was ist geschehen?«
    Wie aus weiter Ferne wehte die Stimme zu ihr hinüber. Mühsam öffnete sie die Augen. »Marpessa?«
    »Ja, Herrin, ich bin hier. Was ist passiert?« Eine kühle Hand schob sich unter ihren Nacken und half ihr, sich aufzurichten.
    »Nichts, ich habe geträumt.«
    »Eine Vision, Herrin? Ihr habt an der Reling gestanden und Euch vorgebeugt und dann habt Ihr angefangen zu schreien. Ich hatte Angst, Ihr könntet hinunterstürzen! Was habt Ihr vorausgesehen?«
    »Nichts, Mapessa«, sagte Kassandra müde und strich sich die vom Salzwasser steifen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ich habe nichts mehr gesehen, seit wir Troja verlassen haben.«
    Marpessa musterte sie und ihr Blick schien einen Moment zu lang an Kassandras Bauch hängen zu bleiben. Dann stand sie auf und reichte Kassandra die Hand. »Agamemnon wird mit Euch speisen wollen. Kommt ... ich werde Euch die Haare flechten.«
*
    Kassandra hatte keinen Appetit. Sie tunkte das helle Brot in den Wein und kaute langsam darauf herum. Ihr Magen schien sich gegen jeden Bissen, den sie schluckte, mit Übelkeit und krampfartigen Schmerzen zu wehren.
    »Schmeckt es Euch nicht, meine Liebe?«
    Agamemnon schenkte sich Wein nach, stellte den Krug ab und sah zu ihr hinüber.
    »Oh ... doch mein Herr, es ist vorzüglich.«
    Es war ihr unangenehm, wie er sie betrachtete. Seine dunklen Augen musterten sie freundlich und wohlwollend, stets war er bemüht, für ihr Wohlergehen zu sorgen. Und doch konnte sie nicht vergessen, was er getan hatte. Sie brauchte nur die Augen zu schließen und schon sah sie ihn vor sich, wie er hoch aufgerichtet auf seinem Wagen stand, in goldener Rüstung und mit gezücktem Schwert, und wie ein Kriegsgott in das brennende Troja einzog.
    Jetzt wirkt nichts an ihm erhaben oder übermenschlich. Sein Haar war in den Jahren des Krieges grau geworden, die Haut von tiefen Falten durchzogen, und als er den Kelch hob, sah sie, dass seine knotigen Finger zitterten wie bei einem Greis. War das der Kriegsheld, der siegreiche Feldherr, der nach Jahren des Kampfes in sein lange verlassenes Land zurückkehrte? War das alles, was der Krieg übrig gelassen hatte? Eine Handvoll alter Männer, gebeugt von der Last vieler Jahre, die am Feuer ihre gichtgeplagten Glieder wärmten, hastig den Wein wegtupften, der ihnen übers Kinn rann, und dabei mit ihren Heldentaten prahlten. Was war aus den jungen Männern geworden, die vor Trojas uralten Mauern Ruhm und

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